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Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas
Autoren: Ka Hancock
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ich mich zum Smalltalk, während Aretha meine Brüste zurechtquetschte wie Brotteig. Sie war die einzige Mammographie-Assistentin in Brinley, daher kannte sie alle Brüste in unserem kleinen Ort wahrscheinlich besser als deren Besitzerinnen. Sie war eine große, pferdeähnliche Frau – sehr nüchtern –, und ich fragte mich auf einmal, was sie wohl dachte, wenn sie eine von uns außerhalb der Praxis im normalen Leben sah. Erkannte sie die Brust noch vor dem Gesicht?
    Ich mochte Aretha. Ihr Sohn Bennion hatte bei mir Geschichte, und ich wusste, dass sie seine Hausaufgaben überwachte. Ich dachte daran, ihr dafür zu danken, doch wie gesagt, war sie sehr geschäftig. Ich war schon oft hier gewesen, und Aretha sagte eigentlich nie etwas, bis sie fertig war. Auch diesmal.
    »So, Lucy, das war’s. Freue mich immer, Sie zu sehen. Benny hat Ihr Unterricht sehr gefallen.«
    »Er ist einer meiner besten Schüler. Sie können stolz auf ihn sein.«
    »Das bin ich auch.«
    Ich zog mich an und bürstete mir das Haar. Es ist ziemlich lang, und ich bürstete selbstvergessen vor mich hin, während ich in den Spiegel starrte und nach
ihr
Ausschau hielt. Das mache ich jedes Mal, wenn ich zur Untersuchung gehe – es gehört zum Ritual. Ich suche nach irgendeinem Hinweis darauf, dass die Todesfee in einer Ecke lauert, plötzlich hinter mir im Spiegel erscheint oder ich sie nur aus den Augenwinkeln vorübergleiten sehe. Aber ich sah nichts, und das war ausgesprochen beruhigend – fast so gut wie Dr. Barbees magische Worte.
    Als ich fertig war, ging ich zu Damian’s, wo ich mit Lily zum Mittagessen verabredet war. Auf dem kurzen Weg fühlten sich die Sonne und die warme Brise in meinem Gesicht himmlisch an. Ich lebe sehr gern hier. Brinley, Connecticut, ist ein kleiner Ort, in dem man so ziemlich alles binnen einer Viertelstunde zu Fuß erreichen kann. Zwischen dem Bootshafen und dem Loop – der in Brinley den Marktplatz ersetzt – liegen gut drei Kilometer, und die Wohnviertel reichen zu beiden Seiten dieser Hauptachse auch nur etwa anderthalb Kilometer weit. Connecticut hat eine lange Geschichte und viele charmante Seiten, aber für mich vereint Brinley das Beste von allem: würdevolle alte Häuser und Alleen und die politischen Albernheiten, die so typisch für Kleinstädte sind – etwa eilig einberufene Versammlungen im Loop wegen dringender Themen wie Hundekot oder der Notwendigkeit einer Schlauchaufwickel-Verordnung.
    An diesem Nachmittag waren viele Leute unterwegs, und niemand schien es besonders eilig zu haben. Aber vielleicht kam der Eindruck daher, dass ich es selbst nicht mehr besonders eilig hatte, da jetzt Sommerferien waren und ich alle 170  Klausuren fertigkorrigiert hatte.
    Ich sah eine unserer Nachbarinnen, Diana Dunleavy, die ihre Enkelin Millicent zur Ballettstunde brachte. Das kleine, rundliche Mädchen im knallpinkfarbenen Tutu wirbelte in Pirouetten an Mosely’s Market vorbei. Diana winkte mir zu.
    »Ist sie nicht begabt? Hat sie alles von mir!«, rief sie mir über die Straße zu.
    Ich lachte und beobachtete, wie die kreiselnde Millie mit Deloy Rosenberg zusammenstieß, der mit seinem Mittagessen aus dem Sandwich Shoppe kam. Er ließ seine Pappschale fallen, und eine Tüte fiel zu Boden, aber anscheinend blieb alles heil. Dennoch verbarg Millie ihr rotes Gesichtchen in den Falten von Dianas Rock, bis der Polizeichef von Brinley den Versuch aufgab, sie zu trösten, und mit seinem Mittagessen davonging. Jedes Mal, wenn ich Deloy in seiner Uniform sehe, denke ich an meinen Vater.
    Ich entdeckte Lily und Jan auf der anderen Straßenseite und lief zu ihnen hinüber. Jan Bates, unsere Nachbarin, wurde eines Tages tatsächlich Lilys Schwiegermutter, genau wie ich es schon als Kind vorhergesagt hatte. Allerdings hatte ich damals nicht geahnt, dass sie auch für mich eine zweite Mutter werden sollte.
    Oscar Levine nagelte gerade ein Schild an das Tor zu Brinleys winzigem Park, als er mich bemerkte. Der knochige kleine Mann ließ den Hammer sinken und rief: »Lucy, du kommst doch zum Shad-Grillen am Samstag, oder?«
    »Natürlich kommt sie, Oscar«, antwortete Lily für mich.
    Jan drückte mich an sich. »Sag einfach ja«, flüsterte sie mir ins Ohr.
    »Würde ich um nichts in der Welt versäumen«, sagte ich. »Und Mickey ist bis dahin wieder zu Hause, also kommt er auch mit.«
    »So ist’s recht.«
    Das Shad-Grillen ist ein Frühlingsritual im ganzen Connecticut River Valley, aber wir in Brinley machen
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