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Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas
Autoren: Ka Hancock
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in uns tickt, sind wir alle sehr wachsam, vor allem Dr. Barbee, der wir uns anvertrauen.
    Lily hatte sich erboten, mich heute zu begleiten, als moralische Unterstützung. Aber ehrlich gesagt sind diese Untersuchungen für meine Schwester fast noch unerträglicher als für mich, deshalb habe ich ihr großzügiges Angebot abgelehnt. Lily ist diejenige von uns, die sich immer die meisten Sorgen macht, und dass ich wieder krank werden könnte, ist der absolute Gipfel ihrer Ängste. Wenn es an ärztliche Untersuchungen geht, bereitet sie sich innerlich auf das Schlimmste vor und betet die ganze Zeit darum, endlich Charlottes magische Worte der Erlösung zu hören: Alles in Ordnung. Diese Verkündigung fühlt sich jedes Mal an, als hätte man im Lotto gewonnen. Doch so lange, bis Lily sie vernommen hat, ist sie fest davon überzeugt, dass entschlossene, engagierte Sorge ein gutes Ergebnis herbeiführen wird.
    Ich selbst möchte einfach nur mehr Zeit bekommen. Fünf Jahre lang wurde mir das Leben in halbjährlichen Rationen zugeteilt, über die ich jedes Mal überglücklich war. Ich feierte sie, als hätte ich dem Schicksal ein Schnippchen geschlagen. Wenn ich heute nach einer Untersuchung als gesund gelte, werden mir größere Zeitabschnitte zugestanden. Dies ist meine zweite
jährliche
Untersuchung, und ich muss sagen, zwölf Monate sind schon eine Menge mehr als sechs. Trotzdem bleibt meine Routine unverändert: Ich erhalte die frohe Botschaft, danke Gott dafür und tanze weiter durch mein Leben – bis es Zeit wird, sich für den nächsten Termin zu wappnen und wieder einmal an die statistischen Werte zu denken, die nicht gut aussehen. Denn falls der Krebs wiederkommt, dann normalerweise umso schlimmer. Doch wenn mich die Angst beschleicht, was sie hin und wieder tut, verscheuche ich sie mit den Worten, die ich vor so langer Zeit von meinem Vater gehört habe.
    Manchmal frage ich mich, ob er geahnt hat, wie sehr ich mir seine Weisheiten zu Herzen nehmen würde. Ihnen verdanke ich es, dass mir der Tod im Grunde keine Angst macht. Das Sterben jedoch gibt mir zu denken. Immerhin habe ich es schon einmal fast getan, und ich war darin nicht gut. Den Kummer der Menschen zu sehen, die ich liebe, das Grauen in Mickeys Augen … Ich danke Gott jeden Tag dafür, dass wir das hinter uns haben, denn inzwischen weiß ich: Ich bin viel besser darin, andere gehen zu lassen, als selbst losgelassen zu werden.
    »Ich brauche noch eine Urinprobe, dann sind wir fertig«, sagte Charlotte und holte mich mit einem Ruck in die Gegenwart zurück.
    »Also ist alles in Ordnung bei mir?«
    Sie legte mir ihre starken, tüchtigen Hände auf die Schultern und sah mir fest in die Augen. »Wir schicken die ganzen Proben ins Labor, und die werden mich anrufen und mir sagen, dass alles in Ordnung ist.«
    »Gut. Ich brauche mir also keine Sorgen zu machen, weil ich immer so müde bin?«
    »Lucy, ich bin auch müde. Da bist du wirklich nicht die Einzige«, schalt sie.
    »Was ist mit diesem leichten Kratzen im Hals?«
    »Aufmachen.« Sie steckte mir einen Zungenspatel in den Mund. »Ich sehe da nichts Besorgniserregendes. Wie lange hustest du schon, hast du gesagt?«
    »Ich weiß nicht, seit ein paar Tagen.«
    »Ich lasse noch einen Abstrich auf Streptokokken untersuchen, nur zur Sicherheit.«
    »Du bist eine wunderbare Ärztin.« Ich würgte, als sie das Wattestäbchen in meinen Rachen schob.
    »Ich gebe mir Mühe.« Als sie fertig war, steckte sie das Stäbchen in ein kleines Plastikröhrchen und lächelte mir zu. »So, dann zieh dich mal an und geh über den Flur zu deiner Mammographie. Na los.«
    »Juhu«, sagte ich sarkastisch. Meine kleinen Brüste zwischen zwei Plexiglasscheiben pressen und auf mikroskopisch kleine Veränderungen durchleuchten zu lassen, war für mich der schwerste Teil dieser Prozedur. Krebs beginnt in einer einzigen Zelle, die ihre Nachbarzellen ebenfalls zur Rebellion anstachelt. Und dann zerstören sie das ganze Viertel. Wenn in einer Mammographie-Aufnahme Pünktchen zu erkennen sind, hat der Schaden schon begonnen. Charlotte hob mein Kinn mit dem Zeigefinger an und sah mir ins Gesicht, als hätte sie meine Gedanken gelesen.
    »Lucy, ich melde mich bei dir, falls wir etwas besprechen müssen. Aber ich habe keinerlei Anlass zur Sorge, also wundere dich nicht, wenn ich dich nur auf ein Schwätzchen anrufe.«
    Ich nickte. »Ja. Gut. Lass uns doch nächste Woche mal zusammen essen gehen.«
    Auf der anderen Seite des Flurs zwang
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