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Tante Dimity und der Fremde im Schnee

Tante Dimity und der Fremde im Schnee

Titel: Tante Dimity und der Fremde im Schnee
Autoren: Nancy Atherton
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Ruhestand, hatte allen Grund, stolz auf seine Erfindung zu sein. So laut und unansehnlich sein Fahrzeug auch sein mochte, es befreite die Landstraßen um Finch mit einer Effizienz, die den Räumdienst des Landkreises bei weitem übertraf.
    »Jetzt können wir nach Oxford fahren«, sagte ich, nachdem der Wagen vorbeigefahren war.
    »Da bin ich mir nicht so sicher«, meinte Bill, der gerade den Hörer aufgelegt hatte. Seine Miene sagte mir, dass etwas Schreckliches geschehen sein musste.
    »Hyram Collier«, beantwortete er meine unausgesprochene Frage. »Er ist tot. Er ist gestern in seinem Haus in Boston an einem Herzinfarkt gestorben.«
    »Bill, das tut mir so leid.« Hyram Collier war ein millionenschwerer Menschenfreund gewesen, dessen Sohn zusammen mit Bill in den USA ein Internat besucht hatte. Hyram war das genaue Gegenteil von Willis senior – ein extravaganter und extrovertierter Mann, der es einem schüchternen Jungen leicht machte, sich wie zu Hause zu fühlen. Hyram hatte Bill zur Seite gestanden, nachdem Bills Mutter bei einem absurden Verehrsunfall ums Leben gekommen war, und war über all die Jahre ein treuer Freund und wichtiger Ratgeber geblieben. »Wann findet die Beerdigung statt?«
    »Übermorgen«, sagte Bill. »Ich sollte hinfliegen, aber …«
    »Du wirst hinfliegen«, sagte ich und nahm ihm Will ab. »William kann dich heute Nachmittag nach Heathrow fahren. Morgen bist du in Boston.«
    »Und wie kommst du nach Oxford?«, fragte Bill.
    »Denk jetzt nicht an Oxford.« Ich hatte keine Zeit, um die absurde Überzeugung meines Mannes zu widerlegen, dass ich nicht in der Lage sei, in England Auto zu fahren. »Und jetzt geh nach oben und packe.«
    Ich hatte kein gutes Gefühl, als Bill den Schwestern Pym und Nell Harris auf Wiedersehen sagte. Erst war der Landstreicher gekommen, nun ging mein Mann.
    Die Weihnachtszeit verlief keineswegs wie geplant.

4
    FRÜH AM NÄCHSTEN Morgen machte ich mich auf den Weg nach Oxford. Ich hatte mich in eine dunkelrote, wärmende Tunika aus Samt gehüllt, trug eine schmal geschnittene schwarze Wollhose und meinen schicken Kaschmirmantel.
    Zuvor holte ich bei den Pyms die Thermoskanne mit Kraftbrühe und das Glas mit Kalbsfußsülze ab. Der Landstreicher würde die gesunden Lebensmittel der Schwestern gar nicht zu sich nehmen können, aber wahrscheinlich würde ich die Kraftbrühe ganz gut gebrauchen können. Es schauderte mich schon bei dem bloßen Gedanken an ein Krankenhaus.
    Für einen medizinischen Beruf hätte ich niemals getaugt. Beim Anblick kranker Menschen wurde ich krank, und ich nährte in meiner Brust eine geheime Angst vor Unfällen, vor gesplitterten Knochen, vor klaffenden Wunden und Strö men von Körperflüssigkeiten. Ich konnte nur beten, dass ich mich auf dem Weg zum Krankenbett des Landstreichers nicht lächerlich machte.
    Mein Auto, ein Morris Mini, hatte schon bessere Tage gesehen, aber er bewältigte die glatten Straßen mit bemerkenswerter Leichtigkeit, und als ich das schneebedeckte Finch erreichte, wehten alle düsteren Gedanken davon.
    Der Schneesturm hatte das Dorf in ein glitzerndes Märchenland verwandelt. Die goldbraunen Sandsteinhäuser glänzten in der strahlenden Morgensonne wie Honig. Funkelnde Eiszapfen schmückten die Dachrinnen, jedes Haus trug eine hohe, weiche Krone aus Schnee, und die Mistelsträuche, die das Kriegsdenkmal schmückten, leuchteten, als habe jemand jedes Blatt einzeln poliert. Finch hätte ausgesehen wie ein zauberhaftes Lebkuchendorf, das seine feinste Wintergarderobe angelegt hatte, wenn die Dörfler nicht das ihrige beigesteuert hätten.
    Sie hatten dem Geist der Weihnachtszeit mit Geschmacklosigkeiten Tribut gezollt, die einem schlichtweg den Atem raubten. Hinter der Fensterscheibe der Teestube starrten Weihnachtsmänner mit tumben Gesichtern ins Leere, die Girlanden, die sie verbanden, sahen aus, als habe man sie damit erdrosselt. Vor Peacocks Pub reihten sich lebensgroße Chorknaben aus Plastik neben blinkende Zuckerstangen, und im großen Schaufenster des Kitchen Emporium posierte ein rasengrünes Rentier neben einem elektrischen Santa Claus, der mit seinem bohrenden Blick und den ruckartigen Bewegungen eher wahnsinnig als weihnachtlich wirkte.
    »Du meine Güte«, murmelte ich und kam mit einem Schlingern vor dem schrecklichen Dekorationsstück zum Stehen. »Wenn ich das als Kind im Dunkeln gesehen hätte, ich wäre schreiend in die Nacht gerannt.«
    Kaum hatte ich den Gedanken ausgesprochen, als eine
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