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Titel: talon005
Autoren: Unsichtbare Augen
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vorstießen, umso konkreter wurden die Hinweise auf die Löwen. Doch je näher sie ihrem Ziel kamen, desto zurückhaltender wurden auch die Menschen, die sie befragten. Janet musste sich manch eine Fabel und Legende anhören, die sich nun erfüllen werde. Innerlich schüttelte sie nur den Kopf. So sehr die Menschen hier inzwischen Fernsehen und Cola gewöhnt waren – sie hielten immer noch abergläubisch an den alten Märchen fest, mit denen schon ihre Großväter nachts geängstigt worden waren.
    Janet konnte das nur recht sein. Keiner der Dorfbewohner wagte sich zurzeit in dieses Gebiet. Sie hatten ihr nur den Weg gewiesen und von den Ruinenfeldern erzählt, die einst der Löwengeist bewohnt habe. Was lag also näher, als die Suche dort zu beginnen , dachte sich Janet.
    Doch welch ein Aufwand –
    „Miss Verhooven?“, unterbrach sie eine kräftige Stimme in ihren Gedanken.
    Eugene Mauris, ihr ortskundiger Fahrer, kam mit weiten Schritten auf sie zu. Er war Belgier und saß seit den Unruhen um Bokassa in den 70er Jahren als arbeitsloser Söldner in diesem Land fest. Seine kernige Art und sein trockener Humor hatten schnell dazu beigetragen, dass sie ihm vertraute.
    Er war Ende Vierzig, mit kurzem schwarzen Haar, das strähnig zur Seite stand. Ganz im Gegensatz zu seinem schmalen Schnurrbart, der mit seinen akkurat geschnittenen Spitzen die Mundwinkel einrahmte. Janet blickte zu ihm hoch.
    „Ich glaube, er kommt zu sich“, fuhr er fort.
    Die junge Frau nickte knapp und erhob sich aus ihrer Haltung. Mit kurzen Schlägen klopfte sie den Staub von ihrem olivgrünen Overall. Sie folgte dem Fahrer zu dem kleinen Lager. Die wenigen Schritte strengten sie mehr an, als sie es sich selbst eingestehen wollte. Unbewusst griff sie nach ihrer Wasserflasche und trank in hastigen Zügen. Das Wasser brannte in ihrem ausgedörrten Hals.
    Sie sah Alice zu, die die Stirn des Wilden mit einem feuchten Tuch abtupfte. Missmutig stellte Janet fest, dass die Fotografin trotz ihrer Shorts und des dünnen T-Shirts keine Probleme mit der sengenden Hitze zu haben schien. Sie ging in die Hocke und registrierte den Schatten, den die Plane warf, mit Erleichterung. Interessiert betrachtete sie sich den Mann, der sich unruhig auf der Decke wälzte.
    „Wahnsinn, was der Junge ausgehalten haben muss!“, stellte Eugene fest. „Normalerweise überlebt das kein Mensch länger als ein paar Stunden, in so einer Einöde in der Sonne zu schmoren!“
    „Urwaldhelden sind eben aus besonderem Holz geschnitzt“, entgegnete Janet ihm lakonisch und warf Alice einen Blick zu. Diese lächelte vielsagend zurück.
    „Es gibt halt zu wenige davon.“ Die Fotografin tunkte den kleinen Waschlappen aus Frottee in eine Schale mit Wasser und drückte ihn aus. Dann widmete sie sich mit dem Tuch wieder der Pflege des Fremden.
    So wenig Janet die junge Frau leiden konnte, musste sie der Fotografin Recht geben. Der Junge war vom Körperbau her ein Prachtexemplar. Zu schade, dass Vanderbuildt bereits seine Pläne mit ihm hatte!
    Ein Stöhnen des halbnackten Mannes ließ sie fast schuldbewusst zusammen zucken. Er warf den Kopf leicht zur Seite. Sein breiter Brustkorb hob und senkte sich unter den kräftigen Atemzügen. Übergangslos öffnete er die hellblauen Augen. Es wirkte fast so, als wisse er, was um ihn herum geschehe.
    „Hallo“, begrüßte ihn Janet und schob ihr Gesicht in sein Blickfeld. „Wie geht es Ihnen? Comment êtes-vous?“
    Sie versuchte es mit einer Mischung aus Englisch und Französisch und hoffte, dass er einer der beiden Sprachen mächtig war. Ihren letzten Johnny Weissmueller-„Tarzan“ hatte sie zu Schulzeiten gesehen und war nicht darauf aus, sich in einem unbekannten Affendialekt verständigen zu müssen. Seine Antwort kam in flüssigem Englisch. Er stöhnte unterdrückt auf und versuchte sich aufzurichten.
    „Nicht so gut“, brachte er schwerfällig hervor. „Kann ich etwas Wasser haben?“
    Alice Struuten robbte aus ihrer sitzenden Haltung etwas zur Seite und goss aus einem der Wasserkanister ein wenig in ein Glas ein. Sie hielt es dem Fremden an die Lippen und kippte es leicht an. Dieser nippte in kleinen Schlucken an dem Glas, bis er seinen Kopf zurücksinken ließ.
    „Danke“, entfuhr es ihm rau.
    „Mmmh, ich danke!“, erwiderte Alice und stellte das Glas beiseite. Janet machte sich in Gedanken eine Notiz, die Fotografin bei der nächsten Gelegenheit in der Wüste auszusetzen.
    „B’jour“ übernahm Eugene die Initiative.
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