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Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
Autoren: Jan Costin Wagner
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Marktplatz, Macchiato.
    Mit Blick auf den Fluss. Kalt ist es. Regen. Nieselregen hinterm Fenster. Telefon bimmelt. Maris Nummer. Mari ruft an. Vor einer Woche oder zwei Wochen hat das angefangen. Bimmel, bammel, Mari ruft an. Will irgendwas wissen, erzählt irgendwas, fragt, wie es mir geht, und ich frage mich
    – what the fuck
    – was das soll.
    Nach all den Jahren. So sagen sie immer in Filmen. Nach all den Jahren kommst du wieder, aber zu spät, zu spät … mit Pathos in den Stimmen. Die Bedienung, von kräftigem Wuchs, lächelt. Kommt ja jeden Tag, der Herr, setzt sich ans Fenster und trinkt Macchiato, warum also nicht freundlich lächeln. Selbe Zeit, selber Ort.
    Gestern im Wald habe ich mich verloren. Ich stehe da und warte, schließe die Augen. Dann finde ich mich wieder oder werde gefunden, bin da. Neugeboren stehe ich unter dem Schneebaum. Der Kaffee heißt Macchiato, das Telefon bimmelt. Mari, aha. Gehe mal ran, Momentchen. Gesprächsprotokoll:
    »Unto?«, fragt sie. Das macht sie dauernd, sagt dauernd meinen Namen in letzter Zeit, als wolle sie sichergehen, dass ich es wirklich bin.
    Unto? Wie geht’s dir, Unto. Was machst du, Unto? Wie läuft die Schule, Unto? Jetzt wieder. »Wo bist du, Unto?«
    »Weg.«
    »Lass uns mal was trinken gehen«, sagt sie.
    Aha.
    »Oder ich komme bei dir vorbei.«
    »Ja … ok … und … warum?«
    »Pizza essen. Ich komme zu dir, und wir bestellen was.«
    »Klar«, sage ich. »Demnächst.«
    Und tschüss und raus und Telefon aus. Die Bedienung lächelt noch mal, würde sie nicht machen, wenn sie wüsste, was ich so alles DENKE . Durch den Regen zum Auto, kleiner Kleinwagen, in den Wald. Menschen mit Schirmen. Alle wollen was, irgendein Ziel irgendwo. Zwischen Zeilen. Habe ich auch. Im Wald. Kofferraum auf, Dosen aufs Geäst. Shoot, shoot, shoot, alles gut. Manchmal beneide ich REP und Vo DK a, die hatten Spaß zusammen, ich bin allein. Egal.
    Lonely hero.
    Same spirit.
    Am Nachmittag Ruhe. Ich trockne die Klamotten und nähe weiter und muss lachen, weil ich auf dem Stuhl sitze, vor der verdammten NÄHMASCHINE , wie ein altes gebücktes Weib. Dient alles einer guten Sache.
    Wo bist du, Unto?
    An einem anderen Ort, Schwesterherz. In einer anderen Zeit.

MAI
8
    Kimmo Joentaa saß auf der Schaukel und betrachtete den Ball, der lag, wo er gelegen hatte, neben dem Pfosten, im ausgefransten Netz des kleinen Tores. Er fragte sich, ob Lasse und Kirsti Ekholm schliefen. Es hatte wieder zu schneien begonnen, leise und sanft.
    Er dachte an die Tabletten, die der Notarzt ihm gegeben hatte, bevor er gegangen war. Sie lagen auf der Ablage in der Küche. Weiße Tabletten, akkurat abgepackt, immer zehn in einer Reihe, die einen zur Beruhigung, die anderen gegen den Schmerz, den Lasse Ekholm irgendwann spüren würde, weil er einen schweren Unfall gehabt hatte. Irgendwann würde er die körperlichen Schmerzen spüren, aber erst, sobald der andere Schmerz, der nicht mehr vergehen würde, ein wenig abklang.
    Er sah das Haus, das Wohnzimmer, in dem Sanna gesessen und gelacht hatte, vor einigen Jahren, und in dem an diesem Abend, vor nicht langer Zeit, der Notarzt und die Sanitäter gestanden hatten, abwartend, unschlüssig, was zu tun sei, weil eine Situation eingetreten war, die keiner Heilung zugeführt werden konnte.
    Er ging über den Rasen, schob die Terrassentür auf und betrat vorsichtig das Haus. Auf dem Tisch stand noch das Tablett mit den unberührten Tassen und der Kaffeekanne. Er versuchte, sich auf Geräusche zu konzentrieren, und war erleichtert, keine zu hören. Vielleicht schliefen die beiden wirklich. Er wendete den Blick von der Treppe ab, die vermutlich zu den Schlafzimmern führte, zu dem der Ekholms und zu Annas, und sah, dass im Flur ein blaues Licht flackerte, in regelmäßigen Abständen wiederkehrend. Ein Licht, das von draußen kommen musste. Joentaa ging zügig und öffnete die Haustür. Zwei uniformierte Polizisten standen in der Einfahrt, einer beugte sich gerade hinunter und tastete nach der Türklingel.
    »Moment«, rief Joentaa und lief ihnen entgegen. Nach einigen Sekunden erkannte er Eero Peltonen, den jungen Streifenpolizisten, der ihm am Unfallort die ersten Informationen gegeben hatte.
    »Hallo, Eero«, rief er. »Wartet kurz, bitte nicht klingeln.«
    »Hallo, Kimmo. Wir … wollten noch die Aussage des Vaters aufnehmen … bevor die Erinnerung verblasst.«
    »Morgen«, sagte Joentaa. »Er schläft.« Ich hoffe, dass er schläft, dachte er.
    Peltonen
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