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Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
Autoren: Jan Costin Wagner
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Kontrastfarben. Vor recht langer Zeit hatte Sedin ein Buch über Farbenlehre gelesen und einige Bilder gemalt. Darüber dachte er nach, während er im Dampfbad saß.
    »Limone«, dachte er und ließ sich ganz von dem heißen Dunst einhüllen, der die Welt vor seinen Augen verbarg.
6
    Am Abend rief er Taina an. Er trug noch den weißen Bademantel, saß gegen das weiße Kissen gelehnt auf dem Bett und konzentrierte sich auf die regelmäßige Wiederkehr des Freizeichens, das ihm signalisierte, dass am anderen Ende ein Telefon klingeln musste. Falls nicht der Rufton deaktiviert war.
    Nach dem fünften Klingeln nahm Taina ab. »Ja?«, sagte sie, mit dieser müden und gleichzeitig aufgekratzt klingenden Stimme, und Sedin sah sie am Tisch sitzen, vor sich ein Glas und eine zur Hälfte geleerte Flasche mit Schaumwein.
    »Ich dachte schon, du hättest auf leise gestellt«, sagte er.
    »Was?«
    Er schloss die Augen. Falscher Beginn, was redete er da? Noch mal von vorn anfangen. »Vergiss es«, sagte er. »Ich wollte mich nur mal melden und …«
    »Was?«, fragte sie.
    »… nur mal melden und sagen, dass ich gut angekommen bin.«
    Taina schwieg.
    »Es ging alles gut, der Flug nach Brüssel war über eine Stunde verspätet, aber wir haben den Zug noch erwischt und waren schon …«
    »Moment«, sagte Taina, und Markus Sedin hatte für einige Sekunden das Gefühl, die Leitung sei tot. Dann hörte er leise Villes Stimme, Ville schien zu weinen, und Taina sprach beruhigend auf ihn ein. Als sie wieder in der Leitung war und sagte, dass sich Ville im Schulsport den Arm aufgeschlagen habe, glaubte er, in ihrer Stimme ein kaum merkliches Lallen wahrzunehmen, aber er konnte sich täuschen.
    »Oh je«, sagte er.
    Sie schwieg.
    »Taina?«, sagte er.
    »Ja?«
    »Du sagtest, dass sich Ville den Arm aufgeschlagen hat.«
    »Ja.«
    »Wie geht’s ihm denn?«
    »Gut«, sagte sie.
    »Ging alles … wart ihr beim Arzt?«
    »Wieso beim Arzt?«, fragte sie.
    »Nein … ich will nur fragen, wie schlimm es war. Musstet ihr zum Arzt? Hat es geblutet?«
    »Nein. Ja.«
    »… was?«
    »Nein. Nicht zum Arzt. Ja. Es hat geblutet.« Ihre Stimme plötzlich verändert. Kristallklar.
    »Ach so«, sagte er.
    »Was interessiert dich eigentlich daran? Du bist doch sowieso nicht hier.«
    Er schwieg.
    »Du bist nicht hier, also lass uns doch bitte unsere Sachen regeln, und du regelst deine.«
    »Taina, ich bin beruflich in Ostende. Für uns …«
    Sie schwieg.
    »Was machen denn …«, begann er.
    »Was?«
    »Wie sind denn die … Kopfschmerzen?«, fragte er.
    »Gleichbleibend«, sagte sie.
    »Hast du … von den Tabletten …«
    »Habe ich«, sagte sie.
    »Wenn es dir zu viel wird, könntest du Irene anrufen.«
    »Das hast du heute früh schon mal gesagt.«
    »Ich will nur, dass es dir gut geht.«
    »Ich weiß«, sagte sie.
    Er wollte neu ansetzen, hielt aber inne. Versuchte, Ironie aus den letzten Worten herauszuhören, die Taina gesprochen hatte. Aber er fand keine. »Das freut mich«, sagte er.
    »Was?«
    »Es freut mich, dass du das so siehst. Dass du verstehst, dass ich es gut meine.«
    »Aha«, sagte sie.
    »Gibst du mir Ville?«
    Ein Rascheln in der Leitung, dann Villes Stimme. »Papa?«
    »Hei, Ville. Wie geht’s denn?«
    »Gut.«
    »Ist der Arm ok?«
    »Jaja.«
    »Das ist gut.«
    »Kommst du morgen?«
    »Ja. Morgen Abend bin ich wieder da.«
    Ville schwieg, und Markus Sedin war sich nicht sicher, ob sein Sohn noch etwas sagen oder ob er einfach schweigen wollte. Einfach ein paar Minuten lang gemeinsam schweigen.
    »Ich soll Zähne putzen gehen«, sagte er.
    »Ja. Dann schlaf gut«, sagte Sedin.
    »Schlaf gut«, sagte Ville.
    »Bis morgen.«
    »Bis morgen.«
    »Gibst du mir noch mal Mama?«
    Er wartete einige Sekunden lang, dann wurde ihm bewusst, dass Ville schon aufgelegt hatte. Er legte das Telefon neben sich auf das Bett und dachte, dass Taina vielleicht zurückrufen und fragen würde, ob er vergessen habe, ihr eine gute Nacht zu wünschen. Das Telefon blieb stumm.
    Er ging ins Bad, zog den Bademantel aus und schaltete die Dusche an. Das heiße Wasser prasselte auf seinen Rücken und löste den Schmerz, der sich auf seine Schläfen und über seine Stirn gelegt hatte.
    Er schloss die Augen und stellte sich vor, dass er den Schmerz spürte, den Taina gespürt hatte, und dass dieser Schmerz, woher auch immer er gekommen war, im Abfluss dieser Dusche versickern würde, um nicht zurückzukehren.

IN EINER ANDEREN ZEIT, AN EINEM ANDEREN ORT
7
    Mittag,
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