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Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
Autoren: Jan Costin Wagner
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während er wartete. Er erwiderte die gemurmelten Grüße von Annas Teamkolleginnen, und als Anna schließlich gemeinsam mit ihrer Freundin Laura mit nassen Haaren aus der Kabine kam, sagte er den Satz, den er häufig sagte, zumindest an kalten Tagen, wohl wissend, wie der kurze Dialog enden würde.
    »Deine Haare sind noch nass.«
    »Kein Problem«, sagte Anna.
    »Du könntest sie noch schnell trocknen.«
    »Passt schon«, sagte Anna.
    »Hm«, sagte er und nahm ihr die bleischwere Sporttasche ab, und als sie ins Schneetreiben und in die Kälte traten, kam ihnen Lauras Mutter entgegen, und Laura fragte, ob Anna vielleicht noch mit ihnen fahren könne, zum Abendessen.
    »Oh ja«, sagte Anna.
    »Ja … von mir aus gerne«, sagte Lauras Mutter.
    »Ich fürchte, das geht nicht«, sagte Lasse Ekholm.
    »Ach, Papa.«
    »Nein, Mama … also Kirsti hat gesagt, dass heute frühe Bettruhe ansteht. Wegen der Klassenarbeit morgen.«
    »Mann«, sagte Anna.
    »Klassenarbeit?«, fragte Lauras Mutter.
    »Äh …«, sagte Laura.
    »Nur so ’ne Zehn-Minuten-Prüfung vom Gockel«, sagte Anna.
    »Vom was?«, fragte Ekholm.
    »Vom … von unserem Chemie-Lehrer«, präzisierte Anna.
    »Ah«, sagte Ekholm, und die Mädchen lachten.
    Sie standen noch unschlüssig, für eine lange Sekunde, dann verabschiedeten sich Laura und ihre Mutter, und Anna sagte, während sie einstieg, dass es sich nicht lohnen werde, für die Chemieprüfung zu lernen, da sie es ohnehin nicht verstehen könne.
    »Das ist … eine schlüssige Argumentation«, sagte Ekholm und startete den Wagen.
    »Genau«, sagte sie.
    »Nur sieht Mama das ein wenig anders.«
    »Na und?«
    »Das ist schon weniger schlüssig.«
    »Was?«
    »Dieses na und. Ist weniger schlüssig.«
    Sie stöhnte, und Lasse Ekholm drehte sich zu ihr um und lächelte, und sie erwiderte das Lächeln und bat ihn, die CD einzulegen.
    »Schon passiert«, sagte er, und dann füllte Musik das Innere des Wagens, die Musik, die er nicht verstand, obwohl Anna versuchte, sie zu erklären. Sie wollte ausgerechnet dieses eine Stück hören, dem er bislang noch nicht den Hauch einer Melodielinie hatte entlocken können. Aber Anna summte mit, und Lasse Ekholm stellte leiser, um Anna summen zu hören.
    »Papa!«, sagte sie.
    »Weitersummen«, sagte er.
    »Was?«
    »Weiter … ich wollte die Melodie raushören, die du da summst.«
    Anna lachte, er wendete sich wieder der Straße zu, und dann passierten mehrere Dinge in kurzer Abfolge.
    Lasse Ekholm sah ein Licht, er spürte es mehr, als dass er es sah, es war in seinem Rücken, es kam plötzlich, und es schien ungewöhnlich hell. Er drehte sich wieder zu Anna um, die immer noch lachte, und im letzten Moment glaubte er, eine Irritation in ihren Augen wahrzunehmen. Ihr Mund war leicht geöffnet, und vielleicht hatte sie Angst in der letzten Sekunde, aber das konnte er nie mit Sicherheit sagen, obwohl er später oft darüber nachdachte.
    Er hatte den Eindruck, einen Blitz zu sehen, der direkt neben ihnen einschlug, neben dem Wagen, in dem sie fuhren, ein lautloser Einschlag, der das Gleichgewicht, in dem sie eben noch gewesen waren, ins Wanken brachte und schließlich aufhob, und dann versuchte er, gegenzusteuern, weil er begonnen hatte, gemeinsam mit Anna, die er nicht mehr sah, in einem leeren Raum zu schweben.
    Der Aufprall war dumpf, leise und blechern, und er hörte die Musik, das andere Stück, das eine, das er mochte, den Retro-Mix eines Achtziger-Jahre-Klassikers, dunkle Bässe auf einem Klangteppich. Er versuchte, sich auf die Melodie zu konzentrieren, die sich langsam herauszukristallisieren begann. Er betrachtete das Display, die gelbe Acht, der achte Song auf der CD , die Anna zusammengestellt hatte, eine Auswahl an Stücken, die nur sie verstand.
    »Anna?«, sagte er.
    Er wartete und fragte sich, warum das Display funktionierte, warum die Musik lief, wenn alles andere kaputt war. Alles kaputt, dachte er. Vielleicht war die Musik nur in seinen Gedanken. Aber das Display funktionierte, und draußen, hinter der Scheibe, sah er Schatten, die vorüberglitten. Es schneite, und es war kalt. Eben war es noch warm gewesen, und wenn es in einem Auto schneite, war davon auszugehen, dass eine Scheibe zu Bruch gegangen war.
    »Anna?«, sagte er.
    »Hallo?«, fragte eine Stimme. Nicht Annas Stimme.
    Er drehte den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, und sah einen Schatten an der Stelle stehen, an der die Beifahrertür gewesen sein musste.
    »Hilfe ist
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