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Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
Autoren: Jan Costin Wagner
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unterwegs«, sagte die Stimme, eine weibliche Stimme, die zitterte.
    Er nickte und wollte aufstehen, aber es ging nicht. Er wollte aufstehen und aus dem Wagen steigen.
    »Sie sollten sich vielleicht nicht bewegen«, sagte eine andere Stimme, eine männliche. »Der Notarzt kommt gleich.«
    Der Notarzt, dachte er.
    »Haben Sie Schmerzen?«, fragte die männliche Stimme. Die Musik lief noch, draußen schien jemand zu weinen. Am Tag von Annas Geburt war der Notarzt gekommen, zwei Sanitäter, die Kirsti getragen und zur Entbindung ins Krankenhaus gefahren hatten. Weil Anna quer gelegen und die Hebamme gesagt hatte, dass die werdende Mutter in diesem Fall aus Gründen der Sicherheit nicht mehr selbst laufen solle.
    »Anna?«, sagte er.
    »Der Notarzt kommt«, sagte die männliche Stimme, und er hörte die Sirene und sah das blaue flackernde Licht. Das Lied war zu Ende gegangen, er hatte den Schluss verpasst. Das Display zeigte eine Fehlermeldung an.
    Der erste Tag, der letzte Schnee.
    Anna könnte mit Laura fahren und bei ihr zu Abend essen.
    Es war ganz still draußen, aber er spürte, dass die Anzahl der Menschen zugenommen hatte.
    »Wie geht es meiner Tochter?«, fragte er.
2
    Kimmo Joentaa stand am Fenster, betrachtete die Dunkelheit und den Schnee und dachte an das, was Larissa gesagt hatte, am Morgen, bevor er losgefahren war. Dass sie vermutlich nicht da sein werde am Abend, dass sie einige Tage lang weg sein werde.
    »Wo?«, hatte er gefragt.
    »Weg«, hatte sie geantwortet, und Kimmo Joentaa hatte die anderen naheliegenden Fragen im Raum stehen lassen, weil er gewusst hatte, dass es keinen Sinn haben würde, sie zu stellen.
    Larissa. Seine Freundin Larissa, die nicht Larissa hieß. Die nicht antworten würde, wenn er sie fragte, wie es ihr gehe. Die ihn auslachen würde, wenn er sie fragte, wie ihr Tag gewesen sei.
    »Wir haben da was«, sagte eine Stimme in seinem Rücken. Antti Lappeenranta, der junge Archivar, hatte den Raum betreten, ohne dass er es bemerkt hatte.
    »Antti … was gibt’s?«
    »Die in der Zentrale haben mich gebeten, Bescheid zu sagen, falls noch jemand da ist«, sagte Antti. »Weil die Kollegen vom Spätdienst anderweitig unterwegs sind.«
    Joentaa nickte.
    »Ein Unfall, also … vermutlich ein Unfall, mit Todesfolge, der Unfallverursacher ist weg, Fahrerflucht.«
    Joentaa nickte.
    »Ein Kind ist ums Leben gekommen, ein Mädchen. Elf Jahre alt. Der Vater hatte sie vom Eishockey abgeholt. Ein …« Antti senkte den Blick auf den Zettel in seiner Hand. »Ein … Lasse Ekholm. Seine Tochter … Anna ist bei dem Unfall ums Leben gekommen.«
    Joentaa nickte. Er betrachtete Antti Lappeenranta, den jungen Archivar, und er dachte daran, dass er mit einer Frau zusammenlebte, die sich Larissa nannte und die sich weigerte, ihren tatsächlichen Namen preiszugeben. Und daran, dass er Antti Lappeenranta mochte, aus vielen Gründen, aber auch weil er die Namen notiert hatte. Es war ihm wichtig gewesen, nicht nur von einem Vater und einer Tochter zu sprechen, nicht von Opfern eines Unfalls, sondern von Lasse und Anna Ekholm.
    Lasse und Anna Ekholm. Er schloss die Augen und sah sich an Sannas Grab stehen, am Tag der Beerdigung, im Regen, wie lange war das her? Vielleicht war tatsächlich nur ein Moment vergangen. Lasse und Anna Ekholm waren zwei Menschen, die er kannte.
    »Ja … ich denke, es ist ja erst mal nicht direkt eure Sache … aber …«, sagte Antti Lappeenranta.
    »Doch«, sagte Joentaa.
    »Ja?«
    Joentaa fragte sich, wie hoch die Wahrscheinlichkeit eines Irrtums sein konnte. Er erinnerte sich an den Kranz, den größten Kranz an Sannas Grab, am Tag der Beerdigung, der Kranz des Architekturbüros, in dem Sanna gearbeitet hatte, bevor sie erkrankt und gestorben war, vor einer Ewigkeit, die nur noch einen Moment entfernt war.
    »Ja, dann …«
    Ein Kranz, unterzeichnet von allen Mitarbeitern, in der Mitte, nicht groß, aber deutlich zu lesen, die Unterschrift von Lasse Ekholm, Sannas Chef, denn Lasse Ekholm war der Inhaber des Architekturbüros gewesen. Und Lasse Ekholm hatte damals eine kleine Tochter gehabt, Anna.
    »Ich will da mal hinfahren«, sagte Joentaa.
    »Das ist nicht weit von der Eishalle entfernt, die Landstraße Richtung Innenstadt …«
    Joentaa lief. Er dachte an Anna, ein Mal hatte er mit ihr in einem Garten Fußball gespielt, im Garten der Ekholms, er hatte gemeinsam mit Anna auf ein kleines Tor geschossen, in dem Annas Vater, Lasse Ekholm, gestanden hatte. Sanna hatte kerngesund
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