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Tag des Opritschniks, Der

Tag des Opritschniks, Der

Titel: Tag des Opritschniks, Der
Autoren: Vladimir Sorokin
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deswegen.
    Nun hat auch Baldochai eine Frage.
    »Sag mal, Ältester, wer hat nun eigentlich dieses Spottgedicht verzapft?«
    »Der Reimeschmied Filka.«
    »Filka? Wer ist das denn?«
    »Ein begabter Bursche. Wird in Zukunft für uns arbeiten«, sagt der Alte, beugt sich nach vorn und schnupft durch sein Elfenbeinröhrchen eine Linie. »Er hat auch schon was Hübsches auf den Gossudaren geschrieben. Wollt ihr’s hören? Klingle mal an bei ihm, Trofim!«
    Trofim wählt die Nummer, nach kurzer Zeit erscheint vor uns ein verschlafenes, erschrockenes Brillengesicht. »Pennst du schon?«, fragt der Alte, nachdem er sein Gläschen gekippt hat.
    »Wo denken Sie hin, Boris Borissowitsch …«, brummelt der Reimeschmied.
    »Na, dann trag uns doch mal deine Widmung an den Gossudaren vor.«
    Der Dichter rückt die Brille zurecht, räuspert sich und deklamiert ausdrucksvoll:
     
    Mit uns, doch Größrem vorbehalten,
    Wohnt hinter Mauern, fensterlos,
    Ein Mensch und doch kein Mensch – ein Walten,
    Eine Bestimmung, erdengroß.
     
    Was vor ihm man zu tun versäumte,
    Durch ihn allein ward es gesühnt,
    Er ist, was nur den Kühnsten träumte,
    Was keiner sich zu sein erkühnt’.
     
    Doch ist er dabei Mensch geblieben,
    Und wenn sein Schuss vom Ansitz knallt,
    Wo man den Wolf ihm zugetrieben:
    Das letzte Wort behält der Wald.
     
    »Na! Hat er doch gut hingekriegt, der Hundesohn, oder nicht?«, ruft der Alte und haut mit der Faust auf den Tisch.
    »Doch, doch«, erklären wir uns einverstanden.
    »Gut. Penn weiter, Filka!«, sagt der Alte und schaltet ihn ab. Worauf er unversehens mit tiefer Stimme zu singen anhebt.
     
    Vereint im Leid, im Kampf verschwo-o-o-ren,
    Steh’n wir für unser Land auf Wa-a-acht!
    Komm, lass ein Loch ins Bein dir bo-o-o-ohren,
    Bevor wir ziehen in die dunkle Na-a-a-cht!
     
    Ich hatte gehofft, darum herumzukommen heute. Vielleicht, dass der Alte schon vorher genug haben würde? Aber nein, unser Kommandeur ist unerbittlich: Koksen mit Wodka, das läuft bei ihm aufs Anbohren hinaus. Na gut – wenn es denn sein muss. Ist ja nicht das erste Mal.
    Trofim ist prompt zur Stelle mit der roten Schachtel, klappt sie auf: Darin liegen, wie Revolver zum Duell, kleine rote Bohrmaschinen. Mit hauchdünnen Bohrern aus lebendgebärenden Diamanten. Dem Alten wird sein fieses Lieblingsspiel eingefallen sein, als er den Brillantring vor sich zerplatzen sah. Trofim teilt die Maschinen aus.
    »Alles hört auf mein Kommando«, stammelt der Alte, schon deutlich beschwipst und benebelt. »Eins, zwei, drei!«
    Wir stecken die Bohrmaschinen unter den Tisch, schalten ein, und jeder versucht, auf Anhieb irgendein Bein zu treffen. Zustoßen darf man nur einmal. Trifft man daneben, hat man Pech. Mir scheint, ich habe Wosk angebohrt, und bei mir, an meinem linken Bein, dürfte sich der Alte persönlich zu schaffen machen. Das Bohren beginnt.
    »Dran und drauf!«
    »Dran und drauf!«
    »Zieh! Zieh! Zieh!«
    Aushalten, aushalten, aushalten. Die Bohrer gehen durch das Fleisch wie das Messer durch die Butter, stoßen im Nu auf den Knochen. Aushalten, aushalten, aushalten! Mit zusammengebissenen Zähnen sitzen wir da, schauen einander in die Augen und halten aus.
    »Tief! Tief! Tief!«
    Wir. Halten. Durch. Die Mückenbohrer fressen sich bis ins Knochenmark. Potyka wird als Erster schwach.
    »A-a-a-a-argh!«, brüllt er.
    »Abbrechen!«, kommandiert der Alte.
    Gemeint sind die Bohrer. Wir brechen sie ab. Die Enden bleiben in den Beinen stecken. Potyka hat verloren: Winselnd, mit schmerzverzerrtem Gesicht, sitzt er da und hält sich das Knie. Standhaftigkeit – das ist es, was die Jungen bei der alten Garde noch zu lernen haben.
    »Wachruschew!«, brüllt der Alte.
    Es erscheint der Arzt der Opritschnina, Pjotr Semjonowitsch Wachruschew, ein schweigsamer Mann, mit zweien seiner Assistenten. Sie ziehen die abgebrochenen Diamantbohrer, die wirklich hauchdünn sind, kaum stärker als ein Frauenhaar, aus unseren Beinen, kleben Pflaster darüber, spritzen Medikamente. Der Alte kippt seinen Dienern in die Arme, haut ihnen dabei noch eins in die Fresse, grölt Lieder, lacht und furzt. Potyka als der Verlierer im Spiel muss den Inhalt seines Geldbeutels in den Kessel der Opritschnina leeren: ein paar Hunderter in Banknoten und fünfzig in Gold.
    »Ende gut, alles gut!«, bellt der Alte. »Die Kutscher!«
    Diener packen mich bei den Armen und tragen mich hinaus.

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    »WAS IST EUCH, mein Lieber, mein Verehrtester?! Andrej
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