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Tag des Opritschniks, Der

Tag des Opritschniks, Der

Titel: Tag des Opritschniks, Der
Autoren: Vladimir Sorokin
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die Nasenflügel blau geädert, das Haar zerrauft. Erstes Grau an den Schläfen. Ein bisschen früh für mein Alter. Aber das kommt von der Arbeit, so ist sie nun mal. Der Staatsdienst ist kein Honiglecken …
    Ich verrichte meine Notdurft und steige anschließend in den Jacuzzi, schalte das Programm ein und lege den Kopf auf die Nackenstütze, die warm und bequem ist. Mein Blick geht zu dem Gemälde an der Decke: Jungfrauen beim Kirschenpflücken im Garten. Das beruhigt. Ich betrachte die Mädchenfüße, die Körbe mit den reifen Kirschen. Die Wanne läuft voll, das Wasser braust und sprudelt mir um den Leib. Der Wodka von innen und die Luftblasen von außen wecken meine Lebensgeister. Nach einer Viertelstunde hört das Sprudeln auf. Ich bleibe noch einen Moment liegen, dann drücke ich den Knopf. Fedka erscheint mit einem Laken und dem Morgenmantel. Er hilft mir aus der Wanne, wickelt das Laken um mich, hängt mir den Mantel über. Ich gehe ins Esszimmer. Dort ist Tanjuschka schon dabei, das Frühstück aufzutragen. An der gegenüberliegenden Wand befindet sich eine Verlautbarungsblase.
    »Nachrichten!«, sage ich vernehmlich.
    Die Blase flammt auf, die blau-weiß-rote Fahne unseres Vaterlandes mit dem goldenen doppelköpfigen Adler erscheint in ganzer Breite, es ertönen die Glocken vom Großen Iwan. Ich schlürfe Tee mit Himbeeren und erfahre, was es Neues gibt: Am Nordkaukasusabschnitt der Südmauer sind neuerlich Kanzleibeamte und Landverweser des Diebstahls überführt worden, die Rohrleitung Fernost bleibt abgeschottet, bis die Japaner uns mit einem Bittgesuch zu Kreuze kriechen, die Chinesen bauen ihre Siedlungen in Krasnojarsk und Nowosibirsk aus, der Gerichtsprozess gegen die Geldschneider aus dem Uralischen Schatzhof dauert an, die Tataren errichten zum Jubiläum des Gossudaren einen raffinierten Palast, die Schlauberger aus der Akademie für Heilkunde kommen mit den Arbeiten amAlterungsgen gut voran, die berühmten Muromer Fiedler geben zwei Kremlkonzerte, Graf Trifon Bagrationowitsch Golyzin hat sein junges Weib erschlagen, für Januar sind auf dem Heumarkt im Hl. Petrograd keine öffentlichen Auspeitschungen vorgesehen, der Rubel ist gegenüber dem Yang wieder um eine halbe Kopeke gestiegen.
    Tanjuschka trägt Quarkkeulchen, gedämpfte Rüben in Honig und Kissel auf. Im Gegensatz zu Fedka ist Tanjuschka eine Wohltat für Aug und Nase. Ihre Röcke knistern angenehm.
    Der kräftige Tee und der Moosbeerenkissel treiben mir den nötigen Schweiß aus den Poren und bringen mich endgültig wieder auf die Beine. Tanjuschka reicht mir ein Handtuch, das sie eigenhändig bestickt hat. Ich reibe mein Gesicht ab, stehe vom Tisch auf, bekreuzige mich, danke dem Herrgott für das Mahl.
    Zeit, an die Arbeit zu gehen.
    Der Bartscherer Samson – ein Zugezogener – wartet schon in der Ankleidestube. Ich begebe mich dorthin. Der kleine, stämmige, wortkarge Mann platziert mich ehrerbietig vor dem Spiegel, massiert mir das Gesicht, reibt den Nacken mit Lavendelöl ein. Seine Hände sind mir, wie die aller aus seiner Zunft, unangenehm. Wobei ich grundsätzlich anderer Meinung bin als der Zyniker Mandelstam, wenn er sagt: »Macht ist so widerlich wie Hände von Barbieren.« Nein, Macht hat ihren Reiz, sie ist so verführerisch wie der Schoß einer jungfräulich zarten Goldstickerin. Anders die Hände eines Barbiers … Nicht zu ändern, Weibern ist es untersagt, uns zu rasieren. Samson sprüht mir aus einem orangefarbenen Fläschchen mit der Aufschrift Dschingis Khan Schaum auf die Wangen, den er mit übertriebener Sorgfalt verschmiert, um nicht den schmalen, schönen Kinnbart zu besudeln, greift nach der Klinge, zieht sie schwungvoll ein paarmal am Riemen ab, nimmt, sich auf die Unterlippe beißend, Maß und fängt an, das Weiß in geraden, gleichmäßigen Zügen wieder aus dem Gesicht zu schaben. Ich betrachte mich. Meine Wangen sind nicht mehr die allerfrischesten. In den letzten zwei Jahren habe ich ein halbes Pud abgenommen. Die Schatten unter den Augen sind zur Regel geworden. Wir alle leiden an chronischem Schlafmangel. Die letzte Nacht war keine Ausnahme.
    Samson legt das Rasiermesser zur Seite und greift zum elektrischen Apparat. Damit stutzt er geschickt das beilförmige Ende meines Bartes.
    »Guten Morgen, Komjaga!«, zwinkere ich mir selbst zu.
    Die unangenehmen Hände legen ein heißes, minzegetränktes Tuch auf mein Gesicht. Sorgsam fährt Samson damit über die Haut, reibt, bis mir die Röte in die Wangen
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