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Tag des Opritschniks, Der

Tag des Opritschniks, Der

Titel: Tag des Opritschniks, Der
Autoren: Vladimir Sorokin
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schießt, dreht das Haarbüschel auf meinem rasierten Schädel ein, sprüht Lack und anschließend reichlich Goldpuder darüber, zuletzt kommt der schwere goldene Ring mit dem Glöckchen ohne Klöppel ins rechte Ohr. An diesem Ring erkennt man uns. Kein Gemeiner, ob Landvogt, Staatsbeamter, Strelitze, Duma-Bojare, Provinzadliger oder sonst ein Gesindel, würde es wagen, sich ein solches Glöckchen anzuhängen – nicht einmal zum Weihnachtsmaskenfest.
    Samson besprüht meinen Schädel mit Wildapfelessenz, verbeugt sich wortlos und geht hinaus – der Barbier hat seine Schuldigkeit getan. Sogleich erscheint Fedka, das Gesicht immer noch in Falten, aber wenigstens schon im frischen Hemd, mit geputzten Zähnen und gewaschenen Händen. Bereit, die Prozedur des Ankleidens an mir vorzunehmen. Ich lege die flache Hand andas Schloss des Kleiderschranks. Das Schloss summt, ein rotes Lämpchen blinkt, die eichene Tür fährt zur Seite. Meine achtzehn Gewänder kommen zum Vorschein. Allmorgendlich ein erhebender Anblick. Heute ist ein normaler Werktag. Also Arbeitskleidung.
    »Für alle Tage«, sage ich zu Fedka.
    Er nimmt die passende Kluft aus dem Schrank und beginnt mich anzukleiden: zuerst das weiße, mit Kreuzstich verzierte Unterzeug, dann die rote, nach Russenart seitlich zu knöpfende Stehkragenbluse, die Jacke aus gold- und silberdurchwirktem Brokat mit Marderbesatz, dazu Pumphosen aus Samt und die saffianledernen roten Stiefel, mit Kupfer beschlagen. Über die Brokatjacke zieht mir Fedka zu guter Letzt den wattierten Kaftan aus grobem schwarzem Tuch, dessen Schöße weit hinunterreichen.
    Nach einem Blick in den Spiegel schließe ich den Schrank.
    Beim Betreten des Vorzimmers schaue ich auf die Uhr: 8:03. Die Zeit drängt. Im Vorzimmer warten die, die mir das Geleit geben wollen: meine alte Amme mit der Ikone des Heiligen Georg, des Wundertäters, Fedka mit Gürtel und Mütze. Letztere, aus schwarzem Samt mit Zobelbesatz, beeile ich mich aufzusetzen, lasse mir den breiten Ledergürtel umlegen. An ihm hängt ein Dolch in kupferner Scheide, rechts davon der Rebroff im hölzernen Halfter. Währenddessen schlägt die Amme das Kreuz über mir.
    »Andrjuschenka! Die Heilige Gottesmutter, der Heilige Nikola und alle Starzen von Optina mögen dir beistehen!«, ruft sie. Dabei wackelt ihr spitzes Kinn, die tränenden wasserblauen Augen schauen ergriffen. Ich bekreuzige mich und küsse die Ikone des Heiligen Georg. Die Amme schiebt mir das Gebet Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzet in die Tasche, das Nonnen des Neujungfrauenklosters in Gold auf eine schwarze Schleife gestickt haben. Ohne dieses Gebet fahre ich niemals zum Einsatz.
    »… und gewähre den Sieg über die Feinde«, brummelt Fedka und schlägt sein Kreuz.
    Aus der Tür zur guten Stube lugt Anastassija: rot-weißer Sarafan, smaragdfarbene Augen, das blonde Haar über der rechten Schulter. Am tiefen Rot ihrer Wangen kann ich sehen, wie erregt sie ist. Die Augen niedergeschlagen, hat sie sich flink verbeugt, wobei die hohe Brust ins Schaukeln gekommen ist. Nun verschwindet sie wieder hinter dem schweren Eichenrahmen. Diese mädchenhafte Verbeugung erzeugt bei mir im Herzen sogleich eine hitzige Aufwallung. Erst vorgestern in der Dunkelheit des Dampfbades hat sie ihren Schoß für mich geöffnet, ward lebendig unter dem Liebesgeflüster an ihrem Ohr, schmiegte sich an mich in all ihrer jungfräulichen Glut, wisperte so voller Inbrunst, dass das Blut in den Adern kochte …
    Doch die Arbeit geht vor.
    Und Arbeit gibt es heute wahrlich nicht zu knapp. Der albanische Gesandte hat mir gerade noch gefehlt.
    Ich trete hinaus in die Diele. Dort steht das ganze übrige Gesinde versammelt: Stallburschen, Hundeknecht, Koch und Beiköchin, Hausmeister, Wächter und Beschließerin.
    »Heil Euch, Andrej Danilowitsch!«, rufen sie und verbeugen sich tief. Ich nicke ihnen im Vorbeigehen zu. Die Dielenbretter knarren. Die geschmiedete Tür wird mir aufgetan, ich trete hinaus auf den Hof. Der Tag verspricht sonnig zu werden, dazu eine knackige Kälte. Über Nacht hat es ein bisschen geschneit: Tannenbäume, Zaun und Wachturm sind wie gepudert.Schnee ist immer gut! Er verhüllt die Scham der Erde. Und die Seele läutert sich.
    Gegen die Sonne anblinzelnd, lasse ich den Blick über den Hof schweifen: Speicher, Scheune, Schweinestall, Reitstall – alles gediegen und in Schuss. Der struppige Rüde zerrt an der Kette, die Windhunde im Zwinger hinter dem Haus winseln, im Stall kräht
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