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Tag des Opritschniks, Der

Tag des Opritschniks, Der

Titel: Tag des Opritschniks, Der
Autoren: Vladimir Sorokin
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zweitens sind so, indem der Samenfluss vom Ende der Kette zur Spitze hin erfolgt, der ewige Kreislauf des Lebens und die fortwährende Erneuerung sehr schön symbolisiert: Die Jungen erweisen den Alten ihren Respekt und führen ihnen zugleich Nährstoffe zu. Darauf bauen wir. Und das ist gut so.
    Sekt aus Sezuan zu süffeln und zu spüren, wie der gesunde Opritschnik-Samen von den Mastdarmwändenaufgesogen wird – das ist himmlisch … Gesundheit ist in unserem gefahrvollen Leben ein hohes Gut. Ich für mein Teil kümmere mich darum: gehe zweimal pro Woche zum Stockschießen, außerdem schwimmen, trinke Ahornsaft mit Walderdbeermark, esse gekeimte Farnsamen und achte auf richtiges Atmen. Auch die anderen Opritschniki ertüchtigen ihren Körper.
    Dem Alten wird von oben gemeldet, Graf Urussow sei erschienen. Die Bademeister teilen Laken aus. Wir verhüllen die erloschene Scham und strecken uns wieder aus. Dann erscheint der Graf in der Tür zur Umkleide. Das Laken drapiert wie eine römische Toga. Der Graf ist weißhäutig, untersetzt, jedoch mit dünnen Beinen. Großer Kopf auf kurzem Hals. Wie immer mit mürrischer Miene. Doch etwas an dem bekannten Gesicht ist neu, und es hat sich bereits eingegraben.
    Wir blicken ihm stumm entgegen, als wäre er ein Gespenst: Bisher hatte man den Mann nur im Frack oder aber im golddurchwirkten Kaftan zu sehen bekommen.
    »Heil euch, ihr Herren Opritschniki!«, versetzt der Graf mit tonloser Stimme.
    »Heil, heil, Herr Graf!«, antworten wir nachlässig und durcheinander.
    Der Alte, auf seiner Liege thronend, antwortet gar nicht. Des Grafen unfrohe Augen brauchen eine Weile, ehe sie ihn finden.
    »Guten Tag, Boris Borissowitsch«, spricht der Graf – und knickt in den Hüften ein.
    Uns sacken die Kinnladen nach unten. Das ist ein starkes Stück! Graf Urussow, der ach so allmächtige, unnahbare, macht vor unserem Alten einen Bückling! Da fallen einem doch gleich die alten Römer ein: sic transit gloria mundi.
    »Sei gegrüßt, Graf!«, sagt der Alte und hat es nicht eilig, sich zu erheben. Erwidert die Verbeugung, legt die Hände vorm Bauch übereinander und schaut den Grafen schweigend an. Er überragt ihn um Kopfeslänge.
    »Ich dachte, ich besuche dich mal«, bricht Urussow das Schweigen. »Ich störe doch nicht?«
    »Gäste sind immer willkommen«, spricht der Alte. »Dampf ist auch noch da.«
    »Nein-nein, ich bin kein großer Saunagänger. Ich hätte nur dringend etwas mit dir zu bereden. Die Sache duldet keinen Aufschub. Könnten wir vielleicht unter vier Augen …?«
    »Nicht doch, Graf, vor meinen Opritschniki habe ich keine Geheimnisse!«, erwidert der Alte und gibt den Bademeistern ein Zeichen. »Ein Gläschen Sekt?«
    Der Graf schiebt finster die Unterlippe nach vorn und äugt wie ein Wolf zu uns herüber. Er ist ja auch einer. Ein gehetzter.
    Zao serviert. Der Alte nimmt das schlanke Glas und leert es in einem Zug, stellt es zurück auf das Tablett und atmet geräuschvoll aus, wischt sich den Schnauzbart. Urussow nippt an seinem, als wäre es der Schierlingsbecher.
    »Wir hören, mein lieber Andrej Wladimirowitsch!«, versetzt der Alte mit mächtiger Stimme und sinkt zurück in seinen Liegestuhl. »Aber lass dich nieder, nur keine Umstände!«
    Der Graf setzt sich seitlich auf den Rand eines Stuhls, verschränkt die Hände.
    »Du bist über meine Situation im Bilde, Boris Borissowitsch?«
    »Das bin ich.«
    »Ich bin geächtet.«
    »Soll vorkommen«, nickt der Alte.
    »Auf wie lange Zeit, vermag ich einstweilen nicht zu sagen. Wobei ich hoffe, dass der Gossudar mir früher oder später verzeihen wird.«
    »Unser Gossudar ist gnädig«, sagt der Alte und nickt noch einmal.
    »Ich hätte einen Vorschlag zu machen. Meine Konten sind auf Geheiß des Gossudaren eingefroren, sämtlicher Besitz in Handel und Gewerbe ist beschlagnahmt, aber mein Privateigentum hat der Gossudar mir gelassen.«
    »Da kannst du von Glück reden!«, sagt der Alte und rülpst sich die chinesische Kohlensäure aus dem Leib.
    Der Graf schaut auf seine gepflegten Fingernägel, dreht am Brillantigelring, lässt einen Moment verstreichen. Dann spricht er weiter.
    »Ich besitze ein Landgut in der Nähe von Moskau, eines im Bezirk Perejaslawl und eines in Diwnogorje bei Woronesh. Außerdem noch das Haus auf der Pjatnizkaja, das du ja kennst …«
    »Wohl wahr«, seufzt der Alte.
    »Ja, also, dieses Haus würde ich der Opritschnina übereignen, Boris Borissowitsch.«
    Stille. Der Alte schweigt, Urussow
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