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Tag der Vergeltung

Tag der Vergeltung

Titel: Tag der Vergeltung
Autoren: Liad Shoham
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würde er diesem Wurstblatt den Rücken kehren. Bis dahin galt: Zähne zusammenbeißen und Maul halten. Immerhin war er mehr auf Dori angewiesen als umgekehrt.
    »In der Louis-Marshall hat es eine Vergewaltigung gegeben, das halbe Polizeiaufgebot dieser Stadt ist vor Ort, alle Medienvertreter, nur mein Reporter für Verbrechen hängt zu Hause ab und kratzt sich am Sack«, bellte er in den Hörer.
    Amit stieg das Blut in den Kopf. Was für ein Fiasko. Kein Wunder, dass Dori tobte. Er prüfte sein Funkgerät, das immer auf Polizeifrequenz eingestellt war. Er hatte es mittags ausgestellt, um sich aufs Ohr zu legen. »Deep Throat« hatte ihn abgelenkt. Er hatte glatt vergessen, es wieder einzuschalten.
    »Tut mir leid … hab ich nicht mitbekommen …«, stammelte er. Na wunderbar. Supersache. Da konnte er von einem Wechsel zu einer überregionalen Zeitung so viel träumen, wie er wollte: Wenn er nicht auf der Hut wäre, würde er noch vorher gefeuert. Dori kannte kein Mitleid, ein Fehler und man war draußen. Das Niveau der Zeitung stand bei ihm an erster Stelle. Erst vor wenigen Tagen hatte er Na’ama, die für »Gesundheit« zuständig war, rausgeworfen, weil sie fehlerhaftes Material an die Redaktion geschickt hatte. »Du blöde Kuh, geh mir aus den Augen«, hatte er sie vor der ganzen Belegschaft angeschrien. So könnte auch sein Schicksal aussehen. Bei aller Unzufriedenheit war ihm durchaus bewusst, dass eine ganze Reihe von Leuten auf seinen Job scharf wäre.
    »Dein ewiges ›es tut mir leid‹ kannst du steckenlassen«, brüllte Dori ihm ins Ohr. »Nimm den Finger aus dem Hintern und mach dich schnellstens dorthin. Morgen früh will ich 500   Wörter auf meinem Tisch haben.«
    Er schwang sich auf sein Motorrad und fuhr in den alten Norden. Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er war schon vor drei Jahren von Jerusalem nach Tel Aviv gezogen. Die ungezwungene Art zu leben passte ihm gut. In Jerusalem ging es ernst und schwermütig zu. Nur an die hohe Luftfeuchtigkeit hatte er sich immer noch nicht gewöhnt. Auf dem Weg überfuhr er mehrere Ampeln bei dunkelrot. Dass er etwas nicht mitbekam, durfte ihm bei seiner Arbeit nicht passieren. Dori stand gehörig unter Druck, das war nachvollziehbar. Eine Vergewaltigung sorgte für eine hohe Auflage – ein angesehenes, sicheres Viertel war der letzte Ort, wo man ein Gewaltverbrechen vermutete. Wie schade, dass die Leute nicht wussten, dass »der letzte Ort« ein Klischee war, das jeglicher Grundlage entbehrte. Als Kriminalreporter wusste er: Verbrechen waren allgegenwärtig.
    Die Straße war voller Menschen. Er sah Jael Gilboa von der überregionalen Tageszeitung Haaretz und Sefi Reschef von Galei Zahal , dem Armeesender. Sie sprachen mit einem hochgewachsenen Polizisten, den er nicht kannte. In seinem Job ging es darum, als Erster vor Ort zu sein, die Story vor allen anderen zu bringen. Der Zug war abgefahren, verdammter Mist.
    Sein Handy klingelte. Wieder Dori.
    »Was hast du herausgefunden?« Sein Ärger war nicht zu überhören.
    »Ich bin gerade erst eingetroffen«, brüllte er ins Telefon, um den Tumult zu übertönen.
    »Besorg mir eine Exklusivmeldung. Weißt du, was das ist, Giladi?«, ranzte Dori ihn an und legte auf. Amit seufzte. Nicht allein, dass das Budget der Zeitung nach und nach gekürzt wurde, es wurde überhaupt infrage gestellt, ob ihre Zeitung gebraucht wurde. In letzter Zeit hatten landesweit viele Journalisten ihre Stellen verloren, darunter nicht wenige, die seit Jahren dabei waren und beachtliche Renommees hatten. Dori hatte guten Grund, auf seine Exklusivmeldung zu pochen, so viel stand fest.
    Er stellte sich zu den zwei Journalisten und versuchte mitzubekommen, was der Polizist an Informationen hatte. Vor einer Woche hatte er eine Reportage über einen hochrangigen Tel Aviver Polizeibeamten geschrieben, der in einem Tobsuchtsanfall die Schuldirektorin seines Sohnes angeschrien hatte. Daraufhin hatte sie die Polizei gerufen. Der Chef der Polizeipressestelle Tel Aviv hatte Dori bekniet, auf die Veröffentlichung zu verzichten, er würde sich auch erkenntlich zeigen. Doch darauf hatte Dori sich nicht eingelassen. »Wenn wir es nicht bringen, macht es eine andere Zeitung. In unserem Beruf ist Mitleid fehl am Platz«, hatte er rigoros entschieden. Nun hatte Amit den Salat – wer würde mit ihm reden? Wer würde ihm seine Exklusivstory liefern? Mit ein wenig Glück würde die Polizei eine Nachrichtensperre über die Vergewaltigung verhängen, die
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