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Tag der Vergeltung

Tag der Vergeltung

Titel: Tag der Vergeltung
Autoren: Liad Shoham
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hatte. Adi war seine älteste Tochter und schon vierundzwanzig. Womöglich behielt Irith noch recht und er ging hier, mitten auf der Straße, wegen eines Infarkts zu Boden. Na und? Aufgeben kam nicht in Frage. Hätte Adi die Gewissheit, dass der Mann, der sie vergewaltigt hatte, hinter Schloss und Riegel war, würde sie vielleicht schneller ins Leben zurückfinden und könnte dieses schreckliche Erlebnis hinter sich lassen.
    Als er das Ende der Straße erreicht hatte, war niemand zu sehen. Weit und breit kein Mensch. Von dem mysteriösen Mann keine Spur. War er in eins der Häuser gegangen? Hatte er dazu Zeit gehabt? Jaron stand da, keuchte, sein Herz raste. Er ging einige Schritte rückwärts, setzte sich auf eine Bank und lehnte den Kopf nach hinten, damit sich sein Herz beruhigte. Frust überkam ihn. Er war so nah an ihm dran gewesen!
    Doch nein, die Sache war noch nicht vorbei: Auf einmal kam er aus einem Innenhof. Er blieb stehen, blickte sich nach allen Seiten um. Hielt Ausschau, offenbar suchte er seinen Verfolger. Von seinem Standort konnte Jaron den Mann ganz gut erkennen, der ihn wiederum nicht. Lautlos legte er sich auf der Bank nieder, nur ja keine abrupte Bewegung, um den Vorteil nicht zu verspielen.
    Der Mann kam in Jarons Richtung. Es trennten sie weniger als hundert Meter. Würde der Mann ihn entdecken, wäre das sein Ende, schoss es ihm durch den Kopf. In Zeitlupe kroch er möglichst leise von der Bank. Er musste die Straßenecke unbedingt vor ihm erreichen. Dort könnte er in einem Innenhof in Deckung gehen und sich dann an ihn dranhängen. Bis zu dieser Ecke waren es ganze zwei Meter. Das ist machbar, sprach er sich Mut zu und musste unweigerlich an seine Armeezeit denken.
    Jaron lief gebückt wie damals bei der Infanterie, wenn sie ein Ziel angesteuert hatten. Hatte der Mann ihn gesehen? Nur mit Mühe konnte er sich beherrschen, sich nicht umzudrehen. Er bog rasch in einen Innenhof ein und wartete ab. Der Mann ging schnell an ihm vorbei. Und war auf dem Weg zur Hauptstraße. Jaron beobachtete ihn aus sicherer Entfernung. Der Mann stellte sich an die Bushaltestelle und wartete. Am Wochenende fuhren Nachtbusse, fiel Jaron ein. Was sollte er tun, wenn ein Bus käme? Dann würde er ihm entwischen!
    Tatsächlich stieg der Mann in einen Minibus ein. Jaron preschte auf die Hauptstraße. Diese Stadt hat doch ihre Vorteile, dachte er, als nach kaum zehn Sekunden neben ihm ein Taxi hielt.
    »Verfolgen Sie den Minibus«, wies er den Taxifahrer an, als wären sie in einem Action-Film.
    Verwundert sah ihn der Fahrer an.
    »Los, nun fahren Sie doch!«
    * * *
    Als er nach Hause kam, war er immer noch aufgewühlt. Er setzte sich in die Küche und machte sich einen Kaffee und dann noch einen zweiten und einen dritten. In dieser Nacht würde er kein Auge zumachen. Er wollte Irith nicht wecken. Es war ohnehin schon schwer genug für sie. Adis Vergewaltigung hatte wie eine Bombe bei ihnen eingeschlagen, übermannte sie beide mit Schuldgefühlen und lähmender Ohnmacht. Das musste ein Ende nehmen. Wegen Adi. Doch nicht nur das. Auch wegen Irith und seinetwegen.
    Er zählte die Minuten bis zur Dämmerung, dann könnte er Eli Nachum anrufen. Obwohl Eli beim letzten Treffen gesagt hatte, er könne ihn jederzeit anrufen, schien ihm ein Anruf mitten in der Nacht übertrieben.
    Um sechs Uhr, kurz bevor er die Nummer wählen wollte, stockte er. Nein. Immer noch zu früh, entschied er. Stattdessen recherchierte er im Internet, wie bei Vergewaltigungsfällen eine Gegenüberstellung ablief. Das Prozedere fand in Gegenwart von Polizisten und Rechtsanwälten statt. Für die Opfer war das reiner Stress. Er las die Geschichte einer Frau, die schilderte, wie traumatisch die erneute Begegnung mit dem Täter für sie gewesen sei, sie habe die Vergewaltigung aufs Neue durchlebt.
    Er würde nicht zulassen, dass seine Adi diese Prozedur über sich ergehen lassen musste. Er würde nicht zulassen, dass unzählige Leute sie auf dem Polizeirevier ins Verhör nahmen, sie sich diesem Psychotest unterziehen musste, während Augenpaare sie verfolgten und man sich zu jeder ihrer Reaktionen Notizen machte. Außerdem wollte er ihr ersparen, dass anschließend irgendein schmieriger Verteidiger sie löcherte, warum sie vor der Identifizierung des Täters eine Sekunde oder auch zwei gezögert habe. Wie das ablief, hatte er in Filmen gesehen. Sie bedienten sich sämtlicher schmutziger Tricks, um die Aussage des Opfers in Zweifel zu ziehen.
    Er
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