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Tag der Vergeltung

Tag der Vergeltung

Titel: Tag der Vergeltung
Autoren: Liad Shoham
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er, wie seine Frau meinte, zu viel Stolz, um sich solcher Mittel zu bedienen. In seinem Alter würde er sich nicht mehr ändern. Den Weg des geringsten Widerstands zu gehen war einfach nicht seine Art.
    Er schloss die Augen. Heftiger Kopfschmerz überfiel ihn. Hätten seine Kritiker recht, wäre er aus dem Polizeidienst ausgeschieden, doch er teilte ihre Meinung nicht. Er konnte noch etwas leisten, daran hatte er keinen Zweifel. Er musste diesen Fall knacken, jeden Stein umdrehen, bis er den Täter gefasst hatte.
    Ein Spaziergang würde es nicht. War der vergewaltigten Frau der Täter unbekannt, gab es nur eine geringe Chance, dass er gefasst wurde. Viele Frauen erstatteten gar keine Anzeige oder erst, nachdem wertvolle Zeit verstrichen war. Erschwerend kam hinzu, dass es sich meist um eine geplante, durchdachte Tat handelte, die von einem intelligenten Mann ausgeführt wurde, der ein Meister der Manipulation war.
    Er nahm sich die Akten anderer Vergewaltigungen vor, die sich in letzter Zeit in Tel Aviv und Umgebung ereignet hatten. Keiner der Täter passte auf die Beschreibung Adi Regevs. Es war schwer, auf Grundlage der Aussage eines Opfers ein Täterprofil zu erstellen: Es konnte sich um einen Einzelgänger handeln oder einen, der sozialen Anschluss suchte, einen Wiederholungstäter oder einen Ersttäter. Da Sexualverbrechen von Suchtverhalten zeugten, bestand das große Risiko, dass er eine weitere Tat begehen würde. Danach könnte wahrscheinlich ein genaueres Profil erstellt werden, mit dem man ihm näher kam. Gegebenenfalls würde ihm beim zweiten Mal ein Fehler unterlaufen. Aus Erfahrung wusste er, dass auf diese Weise viele von ihnen geschnappt wurden. Irgendeiner sah sie. Es war ihre Arroganz, ihr gesteigerter Narzissmus, der sie häufig ins Netz gehen ließ.
    Sollte er sich also zurücklehnen und abwarten, bis der Täter ein zweites Mal zuschlug? Möglicherweise wäre es das Richtige. Es gab jede Menge anderer ungelöster Fälle, deren Liste zunehmend länger wurde und die einen teilweise ebenso bleich vor Entsetzen machten. Aber nein. Weder hatte er die Zeit noch konnte er sich das Recht herausnehmen, eine zweite Vergewaltigungstat geschehen zu lassen, um die erste zu lösen. Allein der Gedanke, dass noch ein Mädchen eine solche Tortur durchmachen müsste, trieb ihn vorwärts und hielt ihn davon ab, das Handtuch zu werfen. Seine Aufgabe bestand schließlich darin, die nächste Vergewaltigung zu verhindern. Es war sein Job, zu dienen und zu beschützen, wie es die amerikanische Polizei zu ihrer Devise gemacht hatte. Nicht die Hände in den Schoß zu legen und Ausreden vorzuschieben. Nicht umsonst hatte er jahrelang darum gekämpft, zur Kriminalpolizei zu kommen.
    Von außen betrachtet, konnte man meinen, er unternehme nichts. Drehe Däumchen und starre in die Luft. Doch Sitzen und Nachdenken war nun einmal seine Arbeitsweise. Immer wieder ging er die Tatsachen der einzelnen Fälle aufs Neue durch. »Du bist von der alten Schule«, hatte sein Vorgesetzter, Kriminalrat Mosche Navon, kürzlich zu ihm gesagt. Sollte er es als Kompliment oder Beleidigung nehmen?
    Sein Telefon klingelte.
    »Herr Nachum … hier ist Jaron Regev, der Vater von Adi«, sagte eine zitternde Stimme, die kurz darauf in bitteres Schluchzen ausbrach. Als Eli das hörte, brach kalter Schweiß auf seiner Stirn aus. Nur das nicht. Das Trauma der Vergewaltigung ließ die Opfer teilweise zu extremen Maßnahmen greifen. Adi Regev war vom Typ her so veranlagt, dass sie daran zerbrechen und eine Verzweiflungstat begehen könnte. Ihr ganzes bisheriges Leben war sie von den Eltern verwöhnt worden, hatte alles bekommen, was sie wollte, sich mit nichts auseinandersetzen müssen – und nun diese Vergewaltigung, die sie mit einem Mal ausgelöscht hatte.
    »Jaron, was ist passiert?«, fragte er besorgt.
    Der Vater weinte.
    »Ist mit Adi alles in Ordnung?«, erkundigte er sich und spürte, wie etwas Bitteres in ihm aufstieg, sich zu einem Kloß ballte und in seiner Kehle stecken blieb.
    »Ich habe ihn«, brachte Jaron Regev nur mühsam hervor, »ich habe den Täter.«

6
    Ein Klopfen an der Tür. Sie zuckte zusammen. Sie saß am Computer und ließ einen bunten Ball nach dem anderen, der über den Bildschirm flog, explodieren. Seit der Vergewaltigung konnte sie kein Auge zumachen, verbrachte Stunden über Stunden am Computer und schlug die Zeit mit diesen sinnlosen Spielen tot. Sie versuchte den Kopf freizubekommen. Zu vergessen. Sie war schon lange
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