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Tag der Vergeltung

Tag der Vergeltung

Titel: Tag der Vergeltung
Autoren: Liad Shoham
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vorbei wäre, endlich vorbei wäre, doch die Zeit stand still. Sie war unter ihm eingeklemmt gewesen, war beinahe an ihren Tränen erstickt, hatte ihn angefleht, während er in sie hineinhämmerte. Noch mal. Und noch mal. Und noch mal.
    Irgendwann war er aufgestanden, hatte die Hose hochgezogen und sich aus dem Staub gemacht; sie hatte er dort auf dem Boden liegen lassen. Als sie annahm, dass er fort war und nicht zurückkäme, hatte sie sich übergeben. Gewürgt, bis ihr Rachen loderte.
    Wieso hatte sie nicht um Hilfe gerufen? Das Rascheln in der Hecke hatte sie doch gehört. Wie hatte sie ihm in die Falle gehen können? Weshalb hatte sie nicht geschrien, als er seine Hand von ihrem Mund genommen und sie dazu Gelegenheit gehabt hatte? Vergewaltiger wählten ihre Opfer sorgfältig aus, hatte sie einmal gelesen. Warum zum Teufel hatte er es ausgerechnet auf sie abgesehen?
    Sie hatte noch einige Minuten auf dem Boden zugebracht. Aufgelöst in Tränen. Der saure Geruch des Erbrochenen brannte in der Nase. Die Wunde am Kinn blutete. Obwohl sie jetzt um Hilfe rufen, weglaufen wollte, fühlte sie sich zu schwach, war zu keiner Handlung fähig. Sie wurde immer noch von ihm ferngesteuert. Schließlich war sie aufgestanden, hatte sich langsam Richtung Hauseingang und dann nach oben in ihre Wohnung geschleppt.
    * * *
    In der Dusche lief das Wasser in Strömen, ergoss sich über sie, verbrannte ihre Haut. Zusammengekauert saß sie in der Ecke, zerfloss in Tränen und zitterte, spürte ihn nach wie vor auf sich, in sich.
    * * *
    Sie bekam eine SMS von Assaf, dem Typ aus dem Pub. »Lust auf ein Treffen?«, schrieb er mit einem Smiley. Er hatte im Laufe des Tages schon einmal angerufen. Sie war nicht rangegangen, so wie sie das ganze Wochenende über nicht ans Telefon gegangen war. Sie hatte die Zeit im Bett verbracht, geschlafen, in die Luft gestarrt, geweint, sich Vorwürfe gemacht – warum hatte sie ihm nicht gesagt, dass sie ihre Regel habe, schwanger sei, eine Geschlechtskrankheit habe? Warum hatte sie nicht wenigstens versucht, ihn davon abzuhalten? Wenn sie aufstand, dann nur, um die Wunde am Kinn mit einem neuen Pflaster zu versorgen und um sich zu waschen, noch einmal und noch einmal. Sie achtete darauf, ihrem Spiegelbild auszuweichen, darauf, nicht sehen zu müssen, wie er sie zugerichtet hatte.
    Sie schaute auf ihr Handy. Was sollte sie Assaf schreiben? Dass sie es bedauere, ihr aber das Ausgehen momentan nicht so leichtfalle, da sie alle paar Minuten weinen müsse und nicht nur das? Dass sie allein den Gedanken, er könnte sie berühren, abstoßend finde?
    Gestern Nachmittag hatte sie beschlossen, den Vorfall zu begraben, sich zusammenzureißen, ins Leben zurückzukehren. Es war ihr sogar geglückt, sich aus dem Bett zu schwingen und sich davon zu überzeugen, dass das möglich sei, doch binnen eines Augenblicks war alles wieder über sie hereingebrochen, und sie hatte sich die Decke über den Kopf gezogen. Und wenn er sie mit irgendeiner Krankheit angesteckt hatte? Oder sie geschwängert hatte?
    Mit zitternden Fingern schrieb sie eine SMS an Assaf, dass es ihr gerade nicht passe, es ihr leidtue, es nicht an ihm liege, sondern an ihr. Prompt schickte er ihr ein Emoticon mit einem traurigen Gesicht. Wieder musste sie weinen. Dann schlief sie vor Erschöpfung ein.
    * * *
    Ihr Handy weckte sie. Es waren ihre Eltern. Sie riefen bereits zum fünften Mal an, aber sie nahm nicht ab. Gestern hatte sie ihnen eine SMS geschickt, dass sie, anders als sonst, nicht zum Essen am Freitagabend käme. Sie hatte beschlossen, ihnen nichts davon zu erzählen. Zum einen wollte sie ihnen den Schmerz ersparen und zum anderen würden sie darauf bestehen – das wusste sie –, sie ins Krankenhaus und zur Polizei zu bringen, wenn sie ihre Tochter in diesem Zustand sähen. Doch dazu war sie unter keinen Umständen bereit. Sie wollte allein sein, in Abgeschiedenheit ihre Wunden lecken, ohne von Polizisten umringt zu sein, die sie mit ihren Fragen löcherten, oder von Ärzten, die an ihrem Körper herumfummelten.
    Wieder riefen die Eltern an. Sie drückte den Anruf weg und stellte das Handy auf »Lautlos«.
    * * *
    Zunächst dachte sie, es wäre ein Traum. Doch nein. Jemand klopfte an ihre Tür. Wieder und wieder. Zunächst behutsam, dann kräftiger. Sie war starr vor Angst. War er es?
    Sie sah auf die Uhr. Halb elf. Samstagabend.
    Wer konnte das sein?
    Sie blieb im Bett, wie paralysiert, hatte Angst, sich zu rühren. Vielleicht würde
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