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Tag der Entscheidung

Tag der Entscheidung

Titel: Tag der Entscheidung
Autoren: Raymond E. Feist
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Augen, die sich in Maras zu bohren schienen, enthüllten einen stummen Schmerzensschrei.
    Justin machte ein Geräusch hinter der einen Hand, das ein unterdrücktes Schniefen hätte sein können. »Das Haus der Shinzawai ist zu groß und zu wichtig für dieses Kaiserreich, um innere Zwietracht durch einen fehlenden Erben heraufzubeschwören. Lord Hokanu erhält deshalb den Befehl seines Kaisers, eine Braut zu suchen und sich neu zu verheiraten, mit dem Ziel, gesunde Kinder zu zeugen.«
    Es war Mara, die vom Podest herunterstieg, um die Scheidungspapiere mit dem kaiserlichen Siegel zu übergeben. Sie bewegte sich in einer Atmosphäre schockierten Schweigens; dann breitete sich ein Flüstern aus, denn alle sahen deutlich, daß sie den Lord liebte. Ihr Opfer stillte die armseligen Gedanken selbst der zielstrebigsten Herrscher. Sie war nicht, was sie vermutet hatten, sondern eine echte Dienerin des Kaiserreiches, die selbstlos handelte, selbst wenn die Notwendigkeit sie verwundet zurückließ.
    Die frühere Lady und ihr Ehemann trafen sich unten vor dem Podest. Nackt vor der Öffentlichkeit war es ihnen nicht möglich, sich in die Arme zu fallen und zu weinen. Dafür war Mara dankbar. Nur der Stolz ihrer Ahnen hielt sie davon ab, ihre Bitte wieder rückgängig zu machen. Ihr Herz wünschte nichts von dieser grausamen Entscheidung. Sie sehnte sich danach, sich Hokanu zu Füßen zu werfen und ihn zu bitten, die Rückgabe der Papiere zu ersuchen, die Justin unter Tränen am Morgen unterzeichnet hatte.
    Sie hatte nichts sagen wollen, doch die Worte brachen nur so aus ihr hervor, ohne jeden Halt. »Ich mußte es tun! Gütige Götter, ich liebe dich noch immer, doch dies war –« Sie hielt inne, hielt mühsam die Tränen zurück.
    »Es mußte so sein«, erwiderte Hokanu mit kratziger Stimme, die genauso zitterte wie ihre. »Das Kaiserreich verlangt unsere ganze Kraft.«
    Sein vollständiges Verständnis der Notwendigkeit ihrer Tat zerriß sie wie ein Schwerthieb, der all ihre Entschlußkraft zu zerstören schien. Mara hielt das Pergament mit den grausamen Worten und dem offiziellen Siegel, als würde es an ihrer Haut festkleben.
    Sanft nahm Hokanu ihr das Dokument ab. »Du wirst immer meine Lady sein«, murmelte er. »Ich mag Söhne bei einer anderen zeugen, doch mein Herz wird immer dir gehören.« Seine Hände zitterten und ließen die goldenen Schleifen flattern und im Licht aufblitzen. Seine Augen waren hart vor innerem Abstand und Schmerz, und er rief sich den Priester Hantukamas in Erinnerung, der ihm einst vorgeworfen hatte, seine Lady zu sehr zu lieben: auf Kosten seiner selbst, hatte dieser sanfte heilige Mann getadelt. Erst jetzt verstand Hokanu das Ausmaß dieser bitteren Wahrheit. Beinahe hätte seine Sorge um Mara zugelassen, daß das Haus Shinzawai in Gefahr geriet.
    Das Kaiserreich konnte sich keine Schwäche leisten, vor allem nicht, wenn sie durch eine Zuneigung des Herzens hervorgerufen wurde. Mara hatte recht, so schmerzhaft ihr Antrag in dieser Stunde des Triumphes auch war. Sie hatte die Notwendigkeit ihrer Trennung erkannt; er hatte ihre Entscheidung unwissentlich noch zwingender gemacht durch seine Starrköpfigkeit bei der Befreiung Kasumas als Shinzawai-Erbin.
    Sein Weg war klar, wenn auch traurig. Er mußte sofort akzeptieren, sonst würde ihn der Mut verlassen. Für das Wohl des Kaiserreiches mußte auch er dieses Opfer bringen. Er streckte die Hand aus und tippte Mara mit einem Finger unter das Kinn, zwang sie, ihn anzusehen. »Werde nicht zu einer Fremden für mich«, murmelte er. »Deine Gesellschaft und dein Rat sind mir immer willkommen, und mein Herz wird auf ewig zuallererst dir gehören.«
    Mara schluckte sprachlos. Wie immer hatte Hokanus vollkommenes Verständnis die Kraft, ihr Herz gefangenzunehmen. Sie würde seine ständige Gegenwart vermissen, seine zärtliche, besorgte Art in der Liebe. Und doch wußte auch sie: Wenn sie ihm nicht diese Entscheidung aufzwang, würde er ohne einen Sohn sterben, ohne einen Erben oder eine Erbin. Es wäre jedoch ein Verbrechen gegen die Menschheit, wenn er seinen Sanftmut und die Fähigkeit, sich für gute und barmherzige Handlungen zu entscheiden, nicht weitergeben könnte.
    »Ich liebe dich«, flüsterte sie tonlos.
    Doch er hatte sich bereits verbeugt und ging, mit festen Schritten, als würde er in einen Kampf ziehen.
    Die zusehenden Lords erstarrten vor Ehrfurcht. Hokanus Mut demütigte sie; und Maras Schmerz beschämte jeden einzelnen von ihnen. Das
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