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Sweetgrass - das Herz der Erde

Sweetgrass - das Herz der Erde

Titel: Sweetgrass - das Herz der Erde
Autoren: Mary Alice Monroe
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über Sweetgrass unterging – im Bewusstsein, dass der Besitz der Blakelys wenigstens einen weiteren Tag intakt überlebt hatte. Einstmals war der Besitz über 600 Hektar groß gewesen, aber über die letzten 300 Jahre waren drei Viertel des Landes verkauft worden. Als letzter männlicher Blakely hatte er es immer als seine Pflicht angesehen, diesen Rest zusammenzuhalten, damit die Blakelys ihr Zuhause behalten würden. Der Gedanke daran erfüllte ihn normalerweise mit tiefer Befriedigung.
    Doch an diesem Abend gab es nichts, das ihm Befriedigung verschafft hätte. An diesem Abend kam es ihm vor, als wäre all sein Bemühen vergeblich gewesen.
    Mama Junes Worte hatten ihm einen unerwarteten Stich versetzt. Sie machten alle Hoffnung zunichte, die er tief in seinem Innern bewahrt hatte: dass eines nicht zu fernen Tages sein verlorener Sohn zurückkehren würde. Auch wenn er es nie jemandem erzählt hatte, so sah er diesen Traum Abend für Abend in den trügerischen Schattierungen der untergehenden Sonne. In diesem Traum verhielt er sich wie der Vater, von dem er in der Bibel gelesen hatte. Er sah seinen Sohn die Straße heraufkommen und lief ihm mit weit ausgestreckten Armen entgegen. Er richtete ein großes Fest aus, mit Musik und Köstlichkeiten – alles um die Rückkehr seines geliebten Sohnes nach langen Jahren nutzloser Wanderung zu lobpreisen. In seinem Traum lächelte er dann Mama June an und sagte: “Mein Sohn war verloren, aber er ist gefunden worden.”
    Prestons Kummer wuchs. Heute Nacht konnte er seinen Traum in den Farben des Sonnenuntergangs nicht sehen. Denn mit der untergegangenen Sonne war auch seine letzte Hoffnung dahin, und zurück blieb nur kalte dunkle Einsamkeit. Er kam sich vor wie tot und begraben, als Mama Junes Worte ihm wieder einfielen:
Werden unsere Kinder um uns trauern, wenn wir nicht mehr da sind?
    Sie werden es nicht tun, dachte er bitter. Und dann kippte er den Rest seines Drinks hinunter.
    Schwer stützte er sich auf die Armlehnen seines Stuhls, erhob sich und begann zu wanken, als ihn ein Schwindel überkam. Zu viel Brandy, dachte er, als er die Veranda entlangtrottete. Drinnen umfing ihn die Wärme des Hauses. Ein Blick auf die Standuhr sagte ihm, dass er mehrere Stunden draußen gesessen hatte, kein Wunder also, dass er so durchgefroren war. Als er sich der Treppe näherte, spitzte er die Ohren und lauschte, ob aus Mama Junes Schlafzimmer ein Laut zu hören war. Aber alles war still. Sie musste längst eingeschlafen sein, dachte er und bedauerte, dass er wohl kaum noch mit einem Abendessen rechnen konnte.
    Doch in Wahrheit war er auch gar nicht hungrig. Der Streit und das anschließende Trinken hatten ihm den Appetit gründlich verdorben. Außerdem war er viel zu unruhig zum Essen. Nach einem Streit mit Mama June hatte er immer Mühe, sich zu beruhigen. So lange, bis sie sich wieder versöhnt hatten. Diese Frau hatte sein Herz in der Hand, und er fragte sich, ob ihr das überhaupt klar war. An manchen Tagen schien sie seine Anwesenheit nicht einmal richtig zu spüren.
    Er spürte seine Einsamkeit sehr genau. Sie pochte in seinem Kopf mit dem Rhythmus seines Blutes. Er zog seine Jacke aus, ließ sie über einen Stuhlrücken fallen und lief unruhig umher. Mit schweren Füßen schleppte er sich vorwärts, und seine müden Augen nahmen kaum das Zimmer wahr, in dem er sich befand. Er konnte an nichts anderes denken als an Mama Junes Worte.
    Zur Hölle mit diesem Stück Land!
    Hatte sie das wirklich so gemeint?
    Seit ich meinen Fuß auf diese Erde gesetzt habe, hat mir dieses Land nichts als tiefsten Kummer gebracht
.
    Der Tag, an dem Mary June Clark zum ersten Mal ihren Fuß auf diese Erde gesetzt hatte, hatte sich ihm tief ins Gedächtnis eingegraben. Sein junges Herz hatte solch eine Vernarrtheit nie zuvor erlebt, und später, viel später war diese Vernarrtheit zu der tiefen Hingabe eines Mannes geworden.
    Preston hatte Mama June noch nie so sprechen gehört. Meinungen wie diese behielt sie üblicherweise für sich, weil sie andere nicht gerne vor den Kopf stieß. Aber diese Worte … Sie waren wie aus einer tiefen verborgenen Quelle an die Oberfläche gesprudelt. Einer sehr tiefen, dachte er und verzog das Gesicht. Wie hatte Faulkner einmal geschrieben?
Die Vergangenheit ist nicht tot. Sie ist noch nicht einmal vergangen
. Es brach ihm fast das Herz zu denken, dass all seine Bemühungen vergeblich gewesen waren. Kein Mann konnte das ertragen.
    Bei jedem Gang durch das Haus
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