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Sweetgrass - das Herz der Erde

Sweetgrass - das Herz der Erde

Titel: Sweetgrass - das Herz der Erde
Autoren: Mary Alice Monroe
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ab, und der Wagen machte noch einen Satz, bevor er endlich zum Stehen kam.
    Seit wann hat sie so weißes Haar?, überlegte er. Und seit wann ist sie so zerbrechlich, als könnte ein leichter Windstoß sie umpusten? Die Jahre, die zwischen ihnen lagen, erschienen ihm wie eine Ewigkeit, als er durch die Windschutzscheibe starrte und nachrechnete, wie alt seine Mutter jetzt war: sechsundsechzig Jahre.
    Auch der schwarze Labrador war alt geworden. Blackjack lief auf steif gewordenen Beinen, und seine Schnauze war längst weiß, aber sein Bellen konnte noch immer Tote erwecken. Morgan machte die Tür auf. Sofort lief der Hund heran, mit gesenktem Kopf, zurückgelegten Ohren und aufgeregt schnuppernd.
    “Hey, Blackjack”, flüsterte Morgan und streckte langsam die Hand aus, als seine Beine den Boden berührten. “Kennst du mich noch?”
    Als er die Stimme hörte, kam der Hund einen Schritt näher und kam mit seiner Schnauze dicht an die ausgestreckte Hand. Ein Ausdruck der Erinnerung trat in die trüben Hundeaugen, und mit einem Mal begann Blackjack, vor unbändiger Freude gleichzeitig zu bellen und zu jaulen.
    “Morgan!”
    Die Stimme seiner Mutter übertönte Blackjacks Bellen. Für einen kurzen Moment schloss Morgan die Augen, stand langsam auf und schaute über seine Schulter zu ihr hinüber. Sein Blick traf auf glänzende blaue Augen, die ihn durch einen Tränenschleier musterten. Sie hatten sich eine lange Zeit nicht gesehen. Für einen Moment standen Mutter und Sohn einfach da und blickten sich schweigend an, bis sie ihre Arme weit öffnete und mit unsicheren Schritten auf ihn zukam.
    Morgan wischte sich die Hände an seinen Jeans ab und war mit ein paar langen Schritten bei ihr. Mama June umarmte ihn mit zitternden Armen, und sofort war Morgan wieder von ihrem Duft nach Gardenien eingehüllt.
    “Ach, mein lieber, lieber Junge!”, weinte sie. “Es tut so gut, dich zu sehen. Schäm dich, dass du so lange weggeblieben bist. Du hast mir so gefehlt!”
    Sie konnte seinen Widerstand spüren, konnte spüren, wie er sich versteifte, und das tat ihr sehr weh, aber trotzdem hielt sie ihn noch einen Moment lang fest, als wäre ihre Liebe stark genug, um sein Eis zu schmelzen.
    Er fühlte sich unwohl bei diesem Gefühlsausbruch, zog sich ein Stückchen zurück und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
    “Hallo, Mama June.”
    Lächelnd hielt sie ihn auf Armeslänge von sich. “Schatz, lass mich dich anschauen. Du bist ja so dünn geworden! Bekommst du nicht genug zu essen?”
    “Ich esse genug.”
    “Darauf würde ich nicht wetten wollen. Aber keine Sorge, wir kümmern uns darum, solange du hier bist.”
    Während sie ihn anstrahlte, musterte auch er sie ausführlich. Sie war irgendwie anders. Mama June war stets schlank gewesen, aber über die Jahre war sie ein bisschen rundlich und ihre Haut weicher geworden. Sie sah verschlafen aus, und er vermutete, dass Blackjacks Bellen sie geweckt hatte. Aber sie wirkte nicht wirklich müde – das Wort passte nicht. Älter. Und das erschreckte ihn.
    In seiner Erinnerung hatte seine Mutter immer so ausgesehen wie zu dem Zeitpunkt, als er sie zum letzten Mal gesehen hatte. Sie war eine mädchenhafte Frau gewesen, mit glänzenden Augen, die vor Neugierde sprühten, und mit schnellen, wenn auch geschmeidigen Bewegungen, aus denen ein wacher Geist sprach. Ihre Haare trug sie seit jeher lang, doch sie waren schneeweiß geworden und locker zusammengebunden zu einem dünnen Zopf, der ihr über die Schulter fiel. Das ließ sie gleichzeitig altmodisch und wie ein junges Mädchen aussehen.
    Natürlich hatte er gewusst, dass sie älter geworden war. Schließlich war er jahrelang nicht zu Hause gewesen. Aber es zu wissen und zu sehen waren zwei ganz unterschiedliche Dinge. Trotzdem, die Aufregung zauberte eine jugendliche Röte auf ihre hohen Wangenknochen, ihr freudiges Lächeln brachte Grübchen zum Vorschein, und ihre blauen Augen funkelten wie ein helles Licht in einem Fenster.
    Mama June lächelte glücklich. “Ich … ich kann es gar nicht glauben, dass du hier bist. Welcher Segen! Ein echter Segen. Oh, Morgan, was für eine Überraschung! Warum hast du denn nicht angerufen und dich angekündigt?”
    “Ich wollte keine Mühe machen. Ich dachte, du hast zurzeit genug zu tun wegen Daddy.”
    Ihr Lächeln erstarb. “Du hast meine Nachricht bekommen?”, fragte sie leise.
    Morgan nickte. “Und ich habe mit Nan gesprochen.”
    Mama June sah verwirrt aus. “Nan? Deine
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