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Sweetgrass - das Herz der Erde

Sweetgrass - das Herz der Erde

Titel: Sweetgrass - das Herz der Erde
Autoren: Mary Alice Monroe
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schenkte er sich noch einen Drink ein. Nach einem weiteren ging er zu einem Tischchen aus Mahagoni in der Halle und kramte Mama Junes blaues Adressbuch hervor. Die Buchstaben tanzten vor seinen Augen, und er suchte nach seiner Lesebrille – diese Fehlsichtigkeit war eine Begleiterscheinung des Alterns, die er nie akzeptiert hatte. Nach einer kurzen Suche zwischen ihren schwungvoll geschriebenen Eintragungen nahm er den Hörer ab und wählte eine Nummer in Montana.
    “Hi, hier ist Morgan. Ich bin leider nicht zu Hause. Bitte hinterlassen Sie eine kurze Nachricht, ich werde dann sofort zurückrufen.”
    Preston war nicht vorbereitet darauf, nach so vielen Jahren des Schweigens plötzlich wieder die Stimme seines Sohnes zu hören. Er nestelte einen Moment an der Telefonschnur herum. Seine Zunge fühlte sich ungewohnt schwer an. Als der Signalton kam, dauerte es noch einen Moment, bis es aus ihm herauskam: “Äh, Morgan, hier ist dein Vater. Ich, äh …” Preston war mit einem Mal verwirrt und suchte verzweifelt nach Worten, die seinen Gedanken Ausdruck verliehen. “Ich rufe an, weil … weil ich mit dir reden will. Na ja, ich …” Das ging nicht gut, er hörte besser auf. “Na, dann mach’s gut, mein Junge.”
    Prestons Hand zitterte, als er den Hörer auf die Gabel legte. Er lehnte sich an das Tischchen und keuchte, als hätte er gerade den großen Acker mit eigenen Händen gepflügt. Verdammt, er schwitzte sogar! Was für ein Pech, dass sich bei seinem ersten Anruf nach all den Jahren ein Anrufbeantworter gemeldet hatte.
    Die Traurigkeit in seinem Herzen ließ seine Brust eng werden. Das Atmen fiel ihm immer schwerer, und er fühlte sich schwach, kaum fähig, sich auf den Beinen zu halten. Er stieß sich von dem Tischchen weg, richtete sich auf und fühlte, wie ihn ein leichter Schwindel überkam, als könnte er jeden Augenblick ohnmächtig werden. Er stolperte hinaus auf die Veranda, um sich mit ein paar tiefen Zügen kühler Meerluft zu erholen.
    Beim Geräusch der Tür erhob sich Blackjack von seinem gepolsterten Lager und kam schwanzwedelnd auf sein Herrchen zu.
    “Geh zurück, Junge”, murmelte er und ging an ihm vorbei. Der Hund jaulte und drückte seine Schnauze an sein Bein.
    “Zurück”, brüllte er und riss die Arme in die Luft. Plötzlich verlor er das Gleichgewicht und griff panisch nach etwas – irgendetwas –, das ihm Halt geben könnte. Sein Blick verschwamm, und mit erschreckender Schnelligkeit war er nur noch von Dunkelheit umgeben. Das Pochen in seinem Kopf schwoll an zu einem ohrenbetäubenden Hämmern und wurde immer lauter und lauter. Er ging zu Boden. Seine Arme reckten sich dem Haus entgegen, als er auf den Boden schlug. Jäh schien ein Blitz sein Gehirn zu treffen, durchfuhr ihn und lähmte seine Muskeln. Als der Schmerz unerträglich war, wurde es um ihn herum weiß.
    “Mary Ju…”
    Das Weiß wurde zu Schwarz. Dann war alles still.

2. KAPITEL
    S weetgrass (Muhlenbergia filipes) ist eine einheimische, hochgewachsene Pflanze, die in Büscheln entlang der Küstendünen von North Carolina bis nach Texas wächst. Diese einheimische Pflanze verschwindet immer schneller aus der Landschaft, weil die Verstädterung und Entwicklung der Küstengebiete und des Sumpflandes der Pflanze ihren natürlichen Lebensraum nimmt
.
    Als er das verzierte schmiedeeiserne Gitter erreichte, drehte der Motor des Pick-ups lautstark durch. Ganz oben auf dem Tor stand kunstvoll verschnörkelt ein einziges Wort:
Sweetgrass
. Der Wagen vibrierte im Takt des durchdrehenden Motors, aber das Beben in Morgan Blakelys Herz hatte einen anderen Grund.
    Die Wagentür quietschte in ihren Angeln, als er sie öffnete. Der Wind wehte einen Hauch Süße in die abgestandene Luft des Wageninneren und blies die Lethargie seiner Fahrt davon. Mit einer weiteren Bewegung setzte er zum ersten Mal seit über zehn Jahren einen Fuß auf die Erde des Lowcountry. Er streckte die steif gewordenen Schultern in seiner Jeansjacke. Mit geschlossenen Augen reckte er sein Gesicht der feuchtklaren Morgenluft entgegen, gähnte herzhaft und fuhr sich mit schwieligen Handballen durch das Gesicht. Nach über vierzig Stunden Autofahrt können einem schon mal die Knochen wehtun, dachte er. Er konnte noch immer den Asphalt unter seinen Füßen spüren. Kein Wunder. Es waren allein 850 Meilen auf der I-90 gewesen, um die Grenze von Montana zu erreichen.
    Er hatte gar nicht damit gerechnet, dass seine alte Mühle die Reise überstehen würde, aber
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