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Survivor 1.05

Survivor 1.05

Titel: Survivor 1.05
Autoren: Peter Anderson
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wirklich nicht oder hatten es zumindest erfolgreich verdrängt. Für Ryan jedoch waren die Markenklamotten, die sie zur Schau trugen, um ihren Reichtum zu präsentieren, mit dem Schweiß und Blut hungernder Kinder getränkt.
    Im Foyer des elterlichen Hauses wurde Ryan von Jameson empfangen, dem Butler. Das war ein Luxus, den sich nur jemand leistete, der sich alles leisten konnte. Ein britischer Butler. »Ihr Vater wünscht Sie zu sprechen, Sir.«
    »Wie geht es Mutter?«, wollte Ryan wissen.
    »Sie leidet heute wieder unter schwerer Depression. Der Arzt war bei ihr. Sie schläft jetzt.«
    »Hat sie wieder gesoffen?«, fragte Ryan grob.
    Jameson tat nicht einmal so, als wäre er empört über die Frage. Sein Gesicht blieb ausdruckslos, seine Haltung steif. »Sir, ich überwache den Alkoholkonsum Ihrer Mutter nicht. Das steht mir nicht zu.«
    Ryan nickte nur und ließ Jameson stehen. Er wusste, wo er seinen Vater finden würde. In seinem Arbeitszimmer, das Ryan Augenblicke später betrat, ohne anzuklopfen.
    Harold Nash, Ryans Vater, gab sich empört und sprang hinter seinem Schreibtisch auf, das Gesicht hochrot. »Was platzt du hier einfach herein!« Der Unternehmer war um die fünfzig und trug auch zu Hause einen teuren taubenblauen Anzug und Krawatte. Das silbergraue Haar war nach hinten gekämmt und wirkte von den Sprays und Haarwässern, die er reichlich benutzte, so steif wie eine Haube.
    »Hast du Angst, ich könnte dich mit einer Geliebten erwischen?«, fragte Ryan zurück. Er wusste zwar nicht, ob sein Vater eine Geliebte hatte, aber es hätte ihn nicht gewundert. Ryan liebte seine Mutter, wäre aber eher ausgewandert, als mit einer Frau wie ihr verheiratet zu sein. Er konnte sich nicht vorstellen, dass bei seinen Eltern im Bett noch irgendetwas lief.
    »Werde bloß nicht frech.« Sein Vater kam hinter seinem Schreibtisch hervor. »Dafür hast du keinen Grund. Gerade du nicht!« Drohend baute er sich vor seinem Sohn auf, und Ryan musste einmal mehr zugeben, dass sein Vater tatsächlich einschüchternd wirkte. »Dein Schulleiter hat mich angerufen. Es gab wieder eine Schlägerei, nicht wahr? Die wievielte diesen Monat war das eigentlich? Jedenfalls wollten sie dich diesmal endgültig von der Schule werfen.« Er stockte; dann brüllte er Ryan an: »Ich zahle ein Vermögen für deine Ausbildung, und du ruinierst alles! Jetzt wird mir nichts anderes übrig bleiben, als den neuen Sportplatz zu finanzieren, damit du an der Schule bleiben kannst!«
    Obwohl Ryan es sich nur ungern eingestand: Er fürchtete seinen Vater, denn der war unberechenbar und neigte zur Boshaftigkeit. Trotzdem versuchte Ryan, sich locker zu geben, als er antwortete: »Lass am besten auch gleich ’ne neue Kantine bauen. Der Fraß dort ist ungenießbar. Jedenfalls verglichen mit dem, was es im Ritz …«
    Weiter kam er nicht. Die Faust seines Vaters traf ihn völlig unerwartet. Er sah den Schlag nicht einmal kommen. Er traf punktgenau den Solarplexus. Ryan sank keuchend auf die Knie. Er bekam kaum noch Luft, und seine Blase schien sich schlagartig gefüllt zu haben, sodass er befürchtete, seine schäbige Hose und den teuren Teppich zu beschmutzen, auf dem er kniete.
    »Überall machst du Stunk!«, schimpfte sein Vater, der drohend über ihm aufragte, das Gesicht noch immer dunkelrot. »Du führst dich auf wie ein Verrückter! Du bist es nicht wert, mein Sohn zu sein!«
    Er machte ganz den Eindruck, als wollte er noch einmal zuschlagen. Dann aber drehte er sich um, ging zurück zu seinem Schreibtisch und stemmte sich mit geballten Händen auf der Mahagoniplatte ab, wobei er Ryan den Rücken zukehrte. »Als deine Mutter von der Sache erfahren hat, ist sie wieder in Depressionen verfallen. Sie hat geweint und davon geredet, sich das Leben zu nehmen. Aber bevor es so weit kommt, erwürge ich dich mit bloßen Händen, das kannst du mir glauben. Geht jetzt! Geh mir aus den Augen!«
    Ryan kämpfte sich hoch und ging, ohne ein Wort zu sagen. Er wusste, warum seine Mutter Depressionen hatte. Weil sie mit diesem Mann nur wegen seines Reichtums zusammenblieb. Weil es auch ihr letztendlich nur um das Geld und den Luxus ging. Dafür hatte sie ihre Seele verkauft und ihr eigenes Leben aufgegeben. Nun war sie an einen Mann gekettet, der den Reichtum mehr liebte als die Menschen, sich selbst mit eingeschlossen.
    Ryan ging zu seiner Mutter, die im Bett lag und schlief. Auf dem Nachtschränken sah er Antidepressiva – Tavor und Anafranil – sowie ein leeres
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