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Survive

Survive

Titel: Survive
Autoren: Alex Morel
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es noch weitere fünfundvierzig Minuten aushalte. Ich schiebe die Zunge zwischen die Zähne und beiße zu. Nicht zu fest, nicht fest genug, um zu bluten, aber gerade so fest, um mich konzentrieren zu können und den Kopf freizubekommen. Ich werde es schaffen. Das sage ich mir wieder und wieder.

Kapitel 9
    Zu meiner Erleichterung haben die Leute von West Air ihre Sache wirklich im Griff und ziehen sie durch. Sie lassen uns zeitig einsteigen und verkünden, früher als geplant abzuheben, wenn die Fluglotsen es erlauben. Mein Sitz befindet sich in der dritten Reihe von hinten, und ich habe einen Fensterplatz.
    Ich bahne mir ohne weitere Vorkommnisse den Weg nach hinten und vermeide, mit irgendjemandem Blickkontakt aufzunehmen, die Stewardess mit eingeschlossen, der ich natürlich nicht über den Weg traue.
    Einige Bergsteiger mit großen Taschen kommen durch den Gang, und ich bete, dass sie sich nicht neben mich setzen. Sie bleiben an der Reihe vor mir stehen und beginnen ihre Sachen abzuladen. Es ist ein ganzer Haufen. Und es gibt einen Haufen lauter und lästiger Gespräche über eine grüne Reisetasche, die nicht in das Gepäckfach über den Sitzen passt, ein Problem, das schließlich gelöst wird, indem jemand die Tasche mit viel Gewalt unter einen Sitz schiebt. Die Stimme des Piloten ertönt, der die Flugbegleiter bittet, die Kabine zum Abflug bereit zu machen.
    Ich stoße nun endlich einen Seufzer der Erleichterung aus: Eine ganze Reihe für mich allein zu haben ist einfach zu schön, um wahr zu sein. Dann, im letztmöglichen Moment vor dem Start, keimt im vorderen Teil des Flugzeugs plötzlich Unruhe auf. Der Sitz neben mir ist immer noch frei, viele andere aber ebenfalls. Ich fange an, vor mich hinzumurmeln: »Bitte, setz dich nicht neben mich. Bitte, setz dich nicht neben mich. Bitte, setz dich nicht neben mich.« Der Herr hat ’ s gegeben, der Herr hat ’ s genommen.
    Ich blicke auf und sehe den Snowboardpunker über meiner Reihe im Gang aufragen. Er quetscht sich in den Sitz neben meinem. Ich sehe, dass er noch jünger ist, als er mir vorkam.
    »Tut mir leid, hier ist echt wenig Platz«, entschuldigt er sich, nachdem er auf meine Tasche getreten ist und mir beim Hinsetzen den Ellbogen in die Rippen gestoßen hat.
    »Kein Problem«, sage ich so leise, dass er mich wahrscheinlich gar nicht hört.
    Ich wende mich ab und betaste das Netz auf der Rückseite des Sitzes vor mir.
    Kurz darauf meldet sich der Pilot und bittet die Flugbegleiter, ihre Plätze einzunehmen. Ich hole tief Luft. Mein Traum, mein Plan wird wahr. Nach ein paar kleineren Hindernissen und ein wenig Panik bin ich endlich auf der Startbahn. Ich lächle vor mich hin und schaue zur Seite, um sicherzugehen, dass der Snowboarder mich nicht anguckt.
    Das Flugzeug rollt zur Startbahn, hält an und macht dann eine 180-Grad-Drehung. Langsam nimmt es wieder Fahrt auf, und schließlich erwachen die Triebwerke brüllend zum Leben. Die Beschleunigung drückt mich in meinen Sitz, und wir zischen über die Startbahn. Ich drehe mich zum Fenster und murmele ein Gebet, bitte Gott, über meinen Flug zu wachen. Eine reine Instinkthandlung, und noch während ich bete, weiß ich, wie lächerlich ich mich mache. Ich bin im Begriff, meinen eigenen Schalter umzulegen, und bitte um einen sicheren Start.
    Wann immer ich fliege, spreche ich dasselbe Gebet: Ich flehe die Toten an: meinen Vater, meinen Großvater und meine Großmutter, einen Cousin, mit dem ich nur einen Sommer lang persönlichen Kontakt hatte und der inzwischen an einer Gallenblasenentzündung gestorben ist, und meine Englischlehrerin, Miss Lathrop, die einen Schlaganfall erlitten hat und an einem Schinkensandwich erstickt ist. Sie ist allein in ihrer Wohnung gestorben. Ich lasse meine private Parade toter Engel vorüberziehen und bitte sie, die Flügel des Flugzeugs zu tragen und mich nach Hause zu bringen. Vor allem bitte ich sie wohl, mich weit genug zu tragen, damit ich mir das Leben nehmen kann. Miss Lathrop hätte gesagt: »Wie ironisch.« Ich frage mich immer, was sie gedacht hat, kurz bevor sie gestorben ist.
    Das Flugzeug hebt ab und neigt sich dann steil nach links. Wir halten diese Flugbahn für ungefähr zehn oder fünfzehn Minuten bei, dann schlägt die Maschine einen waagrechten Kurs ein.
    »Paul Hart, Cambridge, Massachusetts«, sagt mein Sitznachbar und streckt mir die Hand entgegen. Er hat einen leichten New-England-Akzent, ein sportlicher Typ, mit kräftigen, drahtigen Muskeln an den
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