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Supernova

Supernova

Titel: Supernova
Autoren: Charles Stross
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spürte er
die Nähe eines Menschen. Als sie sich irgendwann in ein
öffentlich zugängliches Terminal eingeloggt hatte, hatte
sie beobachtet, wie dieser Hund oder einer seiner Vettern über
den Frachtkai gepirscht war. Er hatte dabei wie der gespenstische
Schatten eines übergroßen Wolfes gewirkt – wie etwas,
das in zu Eis erstarrten Wäldern unter einer Mitternachtssonne
geboren war und sich zu einem Geschöpf entwickelt hatte, das
über die von Cyborgs bevölkerte Tundra einer fremden Welt
streifte. Mit funkelnden Augen hatte der Hund auf die versteckte
Kamera geblickt. Das Funkeln hatte sich zunächst in einen Wirbel
verwandelt und war erstarrt, als der Hund sein Ziel fixiert hatte, um
die Waffe abzufeuern. Mit einem Niesen konnte er Nervengas verbreiten
und mit seinem Kot Landminen ausscheiden, sofern man den billigen,
von allwissenden Erzählern verfassten Abenteuerserien ihres
kleinen Bruders Jerm Glauben schenkte. In technologischer Hinsicht
viel ausgefeilter, als Moskau ihn je hätte erschaffen
können, verfügte der Hund über Muskeln, für deren
Kontraktion er nichts so Primitives wie Actin oder Myosin
benötigte. Seine Knochenstruktur war auf Hebelwirkung angelegt.
Wenn ein Höllenhund mit voller Kraft rannte, zischte er wie eine
altmodische Lokomotive und gab seine überschüssige Hitze
dabei als Dampf an die Umwelt ab. Und der Dampf war so heiß,
dass er jeden, der dem Hund zu nahe kam, verbrühen konnte.
    Jetzt hob sie die Lähmungswaffe – eine Waffe, wie sie
zur Niederschlagung öffentlicher Unruhen eingesetzt wurde
–, spannte die Finger um den Abzug und nahm den Eingang ins
Visier. Vage erkannte sie dort den Schatten von Beinen, allzu
vielen Beinen. Als die Beine innehielten, schwenkte der Schatten
über die Wand, als steuere er auf ein bestimmtes Ziel zu.
Während sie den Abzugshahn herunterdrückte und der Kanister
ihren Händen beim Abfeuern einen Rückstoß versetzte,
kam das grässliche Tappen näher und näher. Ein
schwarzer Umriss zeichnete sich vor ihr ab. Nein, er war nicht
schwarz, sondern blau: blau wie die Zunge des toten Mannes, der
drüben gelegen hatte. In den Instruktionen hatte gestanden,
dass alle Kopien des Datenträgers, der das Logbuch des Zolls
enthielt, zu vernichten seien – alle bis auf eine. Und jeder,
der darüber Bescheid wisse, müsse sterben.
    Der feine Schaum aus Aerogel gab blubbernde und furzende
Geräusche von sich, während er sich schnell zu einer
klebrigen Masse aufblähte. Gleichzeitig stürmte der Hund
mit schnappenden Zähnen und kehligem Knurren vorwärts. Als
er ihr, eingehüllt in den seifigen Schaum, vor die
Füße plumpste, verwandelte sich das leise Knurren in ein
ohrenbetäubendes Wehgeheul.
    Zitternd schleppte sich Wednesday, die beim Aufstehen den schweren
Schreibtisch umgeworfen hatte, in den rückwärtigen Teil des
Raums und sah sich mit wildem Blick um. Die Hinterläufe des
Hundes scharrten über den Fußboden, er wäre ihr gern
nachgesetzt. Während er mit dem klebrigen Schaum kämpfte,
der üblicherweise zur Personenabwehr eingesetzt wurde, konnte
sie ein wütendes Funkeln in seinen Augen erkennen. »Guter
Hund«, sagte sie beiläufig, zog sich zurück und fragte
sich dabei aus irgendeinem albernen Grund, ob sie ihn schlagen
sollte. Besser nicht: Wenn sich ein Höllenhund für besiegt
hielt, sprengte er sich selbst in die Luft, war es nicht so? In den
Abenteuerserien taten sie das immer…
    Etwas Kaltes, Nasses stupste gegen ihren Nacken, etwas Feuchtes
schnüffelte an ihr herum. Als sie zusammensackte und sich Knie
und Magen in Beutel voller Eiswasser verwandelten, gruben sich
knochenharte Tatzen in ihre Schultern und hielten sie aufrecht. Der
Monitor hinter ihrem Augenlid flackerte auf und erlosch, als die
Lampen eingeschaltet wurden. Der Hund auf dem Fußboden schien
sie anzugrinsen – nein, er grinste irgendetwas hinter ihr an.
Die Stimme, die jetzt zu reden anfing, wirkte verblüffend
menschlich. Es war eine tiefe, raue, knurrende Stimme, die aus drei
Richtungen zu ihr drang: »Victoria Strowger, hier spricht die
Hundestaffel vier-alpha der Bereitschaftspolizei. Auf Befehl von
Kapitän Mannheim, der die Evakuierung von Alt-Neufundland
leitet, nehmen wir Sie fest. Sie werden mit uns zum Hauptknotenpunkt
des Radkranzes zurückkehren und dort auf die Beförderung
nach oben warten. Ich bin verpflichtet, Sie zu warnen: Jede
Widerstandshandlung Ihrerseits kann mit einem Einsatz
nicht-tödlicher Waffen geahndet werden. Dass Sie weggelaufen
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