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Sumpfblüten

Sumpfblüten

Titel: Sumpfblüten
Autoren: Carl Hiaasen
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mit gestochen scharfer Auflösung und exotisches Haustierzubehör. Dass er es nicht zu Erfolg, geschweige denn zu Wohlstand gebracht hatte, überraschte niemanden, der ihn kannte. Leibhaftig war Boyd Shreave ausgesprochen ungeeignet für jedwede Tätigkeit, die Überredungskunst erforderte. Ungeachtet seiner jeweiligen Stimmung strahlte er stets eine missmutige Arroganz aus. Die Neigung einer dünnen rötlich braunen Augenbraue, die Ungeduld, wenn nicht gar offene Geringschätzung andeutete. Ein Hängenlassen der Schultern, das die Last quälender Langeweile erahnen ließ. Ein wurmartiges Kräuseln der Oberlippe, das oft als abfälliges, herablassendes Grinsen ausgelegt wurde oder, schlimmer noch, als Elvis-Parodie.
    Fast niemand wollte Boyd Shreave etwas abkaufen. Die meisten Leute wollten einfach nur, dass er sich vom Acker machte.
    Er hatte seine Verkäuferambitionen schon beinahe aufgegeben, als bei seiner letzten Kündigung sein künftiger Exboss vorgeschlagen hatte, dass er es doch mal am Telefon versuchen sollte. »Sie haben das richtige Organ dafür«, hatte der Mann bemerkt. »Leider ist das auch alles, was Sie haben.«
    Es stimmte, dass Fremde oft völlig verdattert waren, wenn Shreave den Mund aufmachte, so wenig passte seine Stimme -weich, beruhigend und freundlich – zu seinem Äußeren. »Du bist ein Naturtalent«, hatte Eugenie Fonda an seinem ersten Tag im Callcenter zu ihm gesagt. »Du könntest dem Papst Dope andrehen.«
    Shreave steckte bei Relentless nicht gerade die Welt in Brand, doch zum ersten Mal in seinem Leben konnte er aufrichtig von sich behaupten, in seinem Beruf semikompetent zu sein. Abgesehen davon war er ruhelos und voller Groll. Ihm missfielen die späte Arbeitszeit, die Kasernenatmosphäre und das papageienhafte ständige Wiederholen des Verkaufsskripts.
    Die Bezahlung war auch unter aller Kanone. Mindestlohn plus vier Dollar für jeden potenziellen Kunden, den er aufriss. Jedes Mal, wenn Shreave so einen am Telefon hatte – jemanden, der tatsächlich mit einem Rückruf einverstanden war oder Informationsmaterial geschickt bekommen wollte –, musste er den Namen dieses Volltrottels an einen Vorgesetzten weiterleiten. Für eine Chance, den Deal selbst abzuschließen, hätte er mit Freuden auf die miese Vier-Dollar-Kommission verzichtet, doch Neulinge im Callcenter wurden niemals mit einer solchen Verantwortung betraut.
    Eine Frau nahm nach dem fünften Klingeln ab.
    »Hallo, spreche ich mit Mrs. Santana?«, erkundigte sich Boyd.
    »Ms. Santana.«
    »Tut mir wirklich leid, Ms. Santana, Boyd Eisenhower mein Name …«
    Eugenie Fonda hatte Boyd gesagt, er solle Kunden gegenüber nicht seinen richtigen Nachnamen benutzen, und hatte ihn bei der Auswahl eines Telefon-Decknamens beraten. Sie meinte, Studien hätten gezeigt, dass die Menschen am ehesten geneigt waren, Anrufern mit den Nachnamen amerikanischer Präsidenten zu vertrauen, weshalb sie sich auch für »Eugenie Roosevelt« entschieden hatte. Zuerst hatte Shreave sich den Namen »Boyd Nixon« ausgesucht und in vier Tagen nicht einen Treffer gelandet. Eugenie hatte ihm freundlich geraten, es mit einem anderen Präsidenten zu versuchen, am besten mit einem, der nicht aus dem Weißen Haus getürmt war, während die Staatsanwaltschaft auf der Matte gestanden hatte.
    »Eisenhower wie Dwight?«, fragte die Frau am anderen Ende der Leitung.
    »Genau«, antwortete Shreave.
    »Und wie war noch mal Ihr Vorname?«
    »B-o-y-d«, sagte Shreave. »Also, Ms. Santana, der Grund warum ich Sie heute Nachmittag …«
    »Es ist nicht Nachmittag, Mr. Eisenhower, das ist ja das Problem. Es ist Abend, und ich sitze gerade mit meiner Familie beim Essen.«
    »Das tut mir leid, Ms. Santana, es wird nicht lange dauern. Oder vielleicht möchten Sie, dass ich es später noch mal versuche?«
    Das war ein Satz, mit dem die Kunden am Telefon gehalten werden sollten. Die meisten Leute wollten nicht zurückgerufen werden; sie wollten es hinter sich bringen.
    Die Stimme der Frau wurde lauter. »Wissen Sie, wie viele Anrufe von Telefonverkäufern ich unter dieser Nummer kriege? Wissen Sie, wie nervig das ist, wenn einen jeden Abend Wildfremde beim Abendessen stören?«
    Boyd Shreave fuhr bereits völlig ungerührt mit dem Finger die Telefonliste hinunter. »Ist vielleicht Mr. Santana zu sprechen?«, erkundigte er sich mechanisch.
    Zu seiner Verblüffung antwortete die Frau: »Ja, ist er. Moment.«
    Augenblicke später meldete sich eine neue Stimme.
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