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Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)
Autoren: Claudia Schreiber
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und sie fressen will. So ein Viech macht für die Würmer dieselben Geräusche wie Regentropfen, wusstest du das?«
    Zu Annies ausführlichen Vorträgen über die großen Fragen des Lebens bereitete Galle Tee und servierte frische Waffeln mit Schlagsahne, die ihr das Denken noch leichter
machten: »Doch jetzt hör zu. Hühner locken die Würmer auch aus der Erde, indem sie mit den Füßen auf den Boden trampeln. Damit – man glaubt es nicht, wie
gerissen solche Viecher sind – ahmen sie das Geräusch von Regen nach oder das vom grabenden Maulwurf, man erforscht das noch. Auf jeden Fall kommen die Regenwürmer hoch und
werden, zack, gefressen. Deshalb also sollte man sich schon beim Aufwachen fragen, ob es einen guten Grund gibt aufzustehen. Irgendwas lockt einen immer, es könnte ein Feind sein, der nach
einem pickt, schon ist man tot.«
    Er nickte, als habe er verstanden: »Fünfzehn Jahre für die Firma für nichts und wieder nichts.« Und starrte sie an.
    Annie tröstete ihn: »Andere glotzen auch, mach dir keine Gedanken. Sie starren ihr Leben lang Computerspiele an oder blöde Fernsehprogramme oder den eigenen Bankauszug, wenn sie
was auf dem Konto haben.«
    »Yankee go home.«
    »Meine Mutter kannte mal einen«, fuhr sie fort, »der war allergisch gegen Erdnüsse, einmal hat er Cornflakes gegessen und wär beinahe elend daran erstickt, weil was
davon dran klebte. Bist du allergisch gegen Erdnüsse?«
    Galle schüttelte den Kopf, er erfasste ihre Gedanken und deren Sprünge anscheinend gut. Bei ihm konnte sie stundenlang alles darlegen, was sie dachte. Daheim fand sie dafür kaum
eine Gelegenheit, Nette und Opa sprachen gern, aber hörten sehr selten zu.
    »Ein kleines bisschen reicht schon für einen Schock. Alles schwillt an in Sekunden, auch die Luftröhre, und Schluss. Keine Ahnung, gegen was ich allergisch bin, bis jetzt habe
ich nichts gemerkt. Wie entsteht das überhaupt? Macht das Gott? Sagt der: Oh ja, dem drehe ich mal eine Allergie an, die sich gewaschen hat? Ich habe gelesen, dass Leute, die schmutzig
aufwachsen, weniger Allergien kriegen, so gesehen lebe ich saumäßig gesund. Bist du schmutzig oder sauber erzogen worden?«
    »Gepackt und abgereist? Mit den Kindern? Wo sind sie denn hin?«
    »Du hast deinen Film, und weißt du was? Ich habe die Allergien, die Regenwürmer und die Hühner aus der Zeitung, da steht alles drin. Nachrichten sind nichts für
Memmen, man muss eiskalt und mutig sein, um täglich die Neuigkeiten zu verdauen. Wie ist das, frage ich mich immer, wenn man im Tunnel verbrennt oder als Flüchtling in einem
Kühltransporter in der Hitze irgendwo an einer Grenze erstickt oder tatsächlich im Lotto Millionen gewinnt? Die meisten Reichen vertragen das viele Geld nicht. Ich kenne nur Leute, die in
der Mitte von allem leben, die einen mittelgroßen Garten haben und auf einer Mittelschule waren und mittel viel oder wenig Geld haben. Die Mitte steht nie in der Zeitung, nur totales Pech
oder Riesenglück.«
    Sie schaute Galle an und erkannte in ihm jemanden, dessen Schicksal sich beileibe nicht in der Mitte abgespielt hatte.
    »Ich lebe mittig, doch im Vergleich zu dir oder den Armen anderswo, in Afrika oder in einem Slum in Südamerika, hab ich enorm viel Essen, lebende Verwandte dazu und sauberes Wasser.
Andere haben auch Essen und Wasser und fühlen sich trotzdem ganz unten. Wieder andere leiden Not, sind arm und lächeln trotzdem.«
    Galle öffnete eine Packung Kekse, stopfte sich einen davon in den Mund und schaute einer Fliege nach.
    »Und jetzt zu den Schönen und den Hässlichen«, erzählte Annie weiter. »Es gibt sehr wenige wunderschöne Menschen, und wenn, wen halten schon alle für
schön? Groß, aber nicht zu groß. Schlank, aber nicht zu dürr. Haare, Zähne, Augen, Hände in der richtigen Größe, fast vorgeschrieben, so müssen alle
aussehen, als seien sie reinrassige Hunde. Denen kürzt man sogar den Schwanz, echt. Menschen lassen sich auch gern was abschneiden, also zu lange Nasen zum Beispiel oder dicke Bäuche.
Wenn dann alle gleich sind, sagen wir, das sei hübsch. Was meinst du?«
    »Ihre Sekretärin, sie ist die blonde Fraulein? Schicken Unterlagen nach Ostberlin, dreifach!«
    »Ach, Galle«, stöhnte Annie traurig. »Guck mal einen anderen Film.«

SCHULE
    D ie ersten Tage war Annie noch neugierig hingegangen und hatte alles von ihrer neuen Lehrerin wissen wollen. Zum Beispiel, weshalb sie erwachsen
sei und trotzdem ihre Nägel abkaue? Annie
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