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Sündenzeit

Sündenzeit

Titel: Sündenzeit
Autoren: Heather Graham , Constanze Suhr
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sie verstand. Sie verstand, warum sie immer schneller lief. Schneller laufen musste.
    Da war diese Dunkelheit hinter ihr. Die Dunkelheit der Nacht, der sich blähenden Wolken, der Schatten, die sich vor die Sonne drängten.
    Die süße Musik, die sie angelockt hatte, wurde durch ein tiefes Donnergrollen abgelöst. Sie wusste, sie musste schneller rennen, der sich ausbreitenden Dunkelheit entkommen wie einer Flutwelle. Inmitten des Donnergrollens vernahm sie das Schlagen von Pferdehufen. Als sie einen weiteren Blick zurück wagte, brach etwas durch die Wolken und bewegte sich auf sie zu.
    Eine Kutsche. Dunkel, massiv und wunderschön, trotzdem Furcht einflößend. Gezogen von riesigen, geschmeidigen schwarzen Pferden mit Flügeln.
    Und da wusste sie es. Irgendwie wusste sie, dass diese Kutsche sie abholen würde.
    Sie drehte sich wieder um und rannte schneller. Ich bin jung, sagte sie sich. Jung und schön, und die Welt ist mein.
    Dort drüben erblickte sie jemanden … da vorn. Sie kannte ihn, da war sie sich sicher, ihr fiel nur nicht mehr ein, woher. Ein trauriges Lächeln lag auf seinem Gesicht, als würde er sie nun in seinem Reich begrüßen. Etwas sagte ihr, dass er nicht dort sein sollte. Sie kannte ihn. Er war ein Freund. Aber ein Freund, der nicht hierher gehörte, nicht in dieses Irland, das sie als Kind gekannt und geliebt hatte. Er winkte ihr zu, und sie wusste nicht, ob das eine Begrüßung oder eine Warnung darstellte.
    Es war egal. Sie musste dieser Dunkelheit entkommen, und die einzige Möglichkeit war, immer weiter geradeaus zu rennen.
    Das Donnern dieser Hufe! Sie hätte auch nicht sagen können, ob diese riesige Kutsche sie vor der Dunkelheit retten sollte oder ein Teil von ihr war.
    Und so rannte sie, wurde immer schneller. Ihr Herz raste, ihre Muskeln schmerzten, und die Lungen brannten. Sie betete im Laufen, dass die Dunkelheit sie nicht einholen solle, dass die Kutsche zu ihrer Rettung käme. Dass sie mit ihr den Weg fortsetzen könne in den wunderschönen smaragdgrünen Tag, in die Wärme und die Liebe, die im Cottage mit diesem Freund und all den anderen auf sie wartete.
    Er sagte etwas zu ihr. Obgleich sie die Worte nicht verstand, spürte sie, dass er sie warnen wollte.
    „Eddie?“, rief sie, als sie ihn im Näherkommen plötzlich erkannte.
    „Es ist gut, Bridey. Mir geht es gut. Ich fühle mich hier wohl. Aber du musst vor den Schatten achtgeben und vor dem heulenden Wind.“
    „Eddie, um Gottes willen … was ist passiert?“
    „Das weiß ich nicht genau. Aber ich habe den Schatten gesehen.“
    Und dann verschwand er aus ihrem Blickfeld, sein Bild verblasste. Die Schatten umgaben ihn nun vollständig. Sie wollte zu ihm.
    Also rannte sie weiter …
    Trotz ihrer Angst und dieses Gefühls, so lebendig zu sein, so verzweifelt lebendig, rannte sie energisch voran.
    Sie spürte wieder deutlich den Tau unter ihren nackten Sohlen. Die Stärke, die in ihrem jungen Körper steckte. Das Herz, die Lungen, ihr Denken – alles war geschärft und kräftig, und einfach nur zu leben war so wunderbar …
    Bridey O’Riley erwachte ruckartig.
    Sie hatte kaum die Lider aufgeschlagen, als sie wieder die Arthritis in ihren Händen spürte, in ihrem gekrümmten Rückgrat, sogar jetzt, wo sie ausgestreckt in ihrem Bett lag.
    Ach, die Träume.
    Im Traum konnte eine Frau wieder jung sein. Und schön. Zurück in Irland, dem Land ihrer Jugend, weit entfernt von jenem hektischen Leben der Stadt. Einfach nur ein junges Ding, das auf den Hügeln herumtollte und von der Liebe schwärmte.
    Bridey lächelte, als das Tageslicht durch die Fenster ins Zimmer sickerte. Heute würde es keine Rennen über die glitzernden Hügel und durch die samtigen grünen Täler Irlands geben. Ihr Zuhause dort war genauso weit entfernt wie ihre Jugend. Wenn sie aufstand und in den Spiegel blickte, wären da keine glänzenden Augen, kein strahlendes Lächeln und keine Porzellanhaut. Eine alte Frau würde sie sehen, wettergegerbt und faltig, eine, die gelebt hatte, Tragödien ertragen ebenso wie Verzückung gespürt. Und die nun wusste, dass der Tod nicht mehr weit entfernt sein konnte.
    Wenn sie aus dem Fenster blickte, würde sie zerklüftete wilde Felsen sehen, die im fahlen Winterlicht grau erschienen, oft auch sehr aufregend. Hier war sie in Amerika, an der Küste von Rhode Island, dem Ort, den sie nun ihr Zuhause nannte.
    Ein gutes Zuhause war das. Sean William O’Riley hatte sich und seiner Familie alle Ehre getan. Das Meer war
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