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Süden und der glückliche Winkel

Süden und der glückliche Winkel

Titel: Süden und der glückliche Winkel
Autoren: Friedrich Ani
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sie.
    »Nein«, sagte ich.
    Schweiß lief ihr übers blasse Gesicht, und sie blinzelte nervös mit dem rechten Auge. Sie hatte sich ein violettes Tuch um den Kopf gewickelt, das ihre Stirn vollständig verdeckte.
    »Möchten Sie was trinken?«, sagte ich.
    »Laden Sie mich ein?«, sagte sie.
    »Unbedingt.«
    Ich holte ihr eine Cola mit Eis. Sie leerte das Glas in drei Zügen, stöhnte und kratzte sich am Kopf.
    »Er hat sich nicht mehr bei Ihnen gemeldet«, sagte ich.
    »Doch«, sagte sie.
    Ich strich mir die Haare aus dem Gesicht, sie waren nass von Schweiß.
    »War ein Scherz«, sagte Nike. »Ich hab nichts mehr von ihm gehört, ehrlich.«
    »Was wollte er eigentlich von Ihnen genau wissen?«, sagte ich.
    Die Sonne schien mir direkt auf den Kopf, als hätte sie nichts Besseres zu tun.
    »Er hat sich für die Zeit von Spitzweg interessiert, für den Realismus, für die Romantik, bei Spitzweg haben Sie ja verschiedene Einflüsse. Cölestin fand es total spannend, dass die Maler damals ihre Ateliers verlassen und im Freien gemalt haben, davor gabs ja nur Ateliers. Schon wegen der Utensilien und allem. Im neunzehnten Jahrhundert kamen die Farbtuben auf, die waren natürlich gut zu transportieren, außerdem verwendeten die Maler neue Farben, Kobaltblau, Ultramarinblau, künstlich hergestellt, aber das Ergebnis war überwältigend, ganz neue kräftige Farben. So was hab ich ihm erzählt. Spitzweg war auch viel unterwegs, in der Schweiz, Italien, Frankreich, in London, er hat den berühmten Kristallpalast besucht, und dann halt in Bayern, seine Ausflüge in die Umgebung.«
    »Hatten Sie den Eindruck, Korbinian beschäftigt sich zum ersten Mal mit Malerei?«, sagte ich.
    »Ja«, sagte Nike. »Ich hab ihn gefragt, was ihn ausgerechnet an Spitzweg so fasziniert, er hat gesagt, das sind die Bilder hinter den Bildern. Was er damit gemeint hat, weiß ich nicht.«
    »In diesen Bildern fühlt er sich zu Hause«, sagte ich.
    »Mag ja sein, aber was bedeutet das?«
    Ich spendierte ihr noch eine Cola und kaufte mir ein Mineralwasser.
    »Wenn Sie mit Cölestin in der Ausstellung waren«, sagte ich, »was für einen Eindruck hatten Sie da von ihm?«
    »Sie meinen, wie er so drauf war?«
    »Ja.«
    »Gut war er drauf«, sagte Nike. Sie hielt sich das gekühlte Glas an die Wange. »Jetzt, wo Sie mich danach fragen: Ich hab manchmal gedacht, er geht so durch die Säle, als würd er spazieren gehen. Lässig. Den Strohhut hat er hinter dem Rücken festgehalten, so…« Sie machte es vor, indem sie ihre Hände hinter dem Rücken kreuzte.
    »Dann hat er sich die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt und ist vor sich hin stolziert.«
    Sie wartete auf eine Reaktion von mir. Ich schwieg.
    »Hallo?«, sagte sie.
    »Ich höre zu«, sagte ich.
    Ihr rechtes Lid zuckte, dann trank sie die Cola aus und blickte mit gerunzelten Brauen auf ihr Fahrrad, das sie an die Hauswand gelehnt hatte. Auf den Gepäckträger hatte sie einen schwarzen Rucksack geklemmt.
    »Wie oft haben Sie mit ihm die Ausstellung besucht?«, sagte ich.
    »Dreimal.«
    »Warum?«
    »Bitte?«
    »Warum wollte er, dass Sie mitgehen?«
    »Das hab ich doch grad gesagt: Damit ich ihm was erklär!«
    »Und das haben Sie jedes Mal getan.«
    »Nur beim ersten Mal«, sagte Nike.
    »Und bei den anderen Malen?«
    »Da haben wir über die vielen Details gesprochen, die Farne, die Falten, die Kleidung der Personen, das Licht. Sie waren doch auch drin!«
    »Ja«, sagte ich.
    Dann schwiegen wir.
    »Erinnern Sie sich an das Bild ›Die Dachstube‹?«, sagte Nike und drehte das leere Glas in den Händen.
    »Nein«, sagte ich.
    »Da steht ein Mann in einem gelben Morgenmantel auf seinem Balkon und gießt seine englische Rose und den Rittersporn. Über ihm hängen zwei Vogelbauer von der Decke. Und wie er so seine Blumen gießt und in die Ferne, über die Dächer der Stadt, schaut, da kommt eine Libelle auf ihn zugeflogen. Die schwirrt in der Luft, das können Sie erkennen, wenn Sie genau hinsehen, Sie denken, die flattert mit den Flügeln, so präzise ist das gearbeitet. Und im Hintergrund ist natürlich die Peterskirche, die hat er ja dauernd gemalt, die war irgendwie unvermeidlich.«
    »Der Turm mit den acht Uhren«, sagte ich.
    »Von seiner Wohnung hat Spitzweg ihn auch sehen können«, sagte Nike. »Als er endlich die richtige gefunden hatte.«
    »Wo?«
    »Am Heumarkt, heute ist da der Jakobsplatz.« Ich schwieg.
    Dann sagte ich: »Beim letzten Mal, als Sie mit Cölestin in der Ausstellung waren, was
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