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Süden und der glückliche Winkel

Süden und der glückliche Winkel

Titel: Süden und der glückliche Winkel
Autoren: Friedrich Ani
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Block. »Hat er Ihnen von einer Krankheit erzählt?«
    »Nee.«
    »Hat er Ihnen erzählt, dass er manchmal einen Hund ausführt?«
    »Einen Hund? Was für einen Hund? Von wem denn?«
    »Von einer Freundin.«
    »Das ist ja toll!« Nike stemmte die Hände in die breiten Hüften und wiegte den Kopf hin und her. »Da denkt man, der tapert jeden Tag, Jahr für Jahr, in sein Postamt, stempelt sich durch den Tag und geht nach Hause zu seiner Frau und das wars dann. Und dann stellt sich raus, dass er ein total aufregendes Leben führt. Hat mindestens zwei Freundinnen, von der einen führt er den Hund aus, mit der anderen treibt er supergeheime Sachen, und dann geht er auch noch ständig in eine Ausstellung und bezahlt eine Studentin dafür, dass sie ihm was aus der Kunstgeschichte beibringt. Und jetzt wird er auch noch von der Polizei gesucht, und die findet ihn nicht mal. Der Mann ist doch ein Profi! Wie gehts eigentlich seiner Frau?«
    »Sie wartet«, sagte ich. »Hat er keine Andeutungen gemacht, wo er gestern von hier aus hin wollte?«
    »Nee.«
    »Bitte, Nike, Sie sind jetzt meine beste Zeugin.«
    »Gibts Zeugengeld?«, sagte sie schnell.
    »Nee«, sagte ich ebenso schnell.
    Für Volker Thon war der Fall damit mehr oder weniger abgeschlossen. Nach den aktuellen Erkenntnissen, die auf der Aussage einer absolut glaubwürdigen Zeugin basierten, hielt sich Cölestin Korbinian weiterhin in der Stadt auf, er war gesund und versteckte sich aller Wahrscheinlichkeit nach bei einer Frau, deren Identität wir nicht kannten. Natürlich gab es offene Fragen: Warum trägt Korbinian immer noch dieselbe Kleidung, wenn er nicht gezwungen ist, auf der Straße zu leben? Was meinte er mit der Bemerkung, er fühle sich bei den Bildern von Carl Spitzweg wie zu Hause? Warum hat seine Frau nicht das Geringste von seinen Besuchen im Haus der Kunst und bei Annegret Marin mitbekommen? Wie ist es möglich, dass ihn außer Nike niemand leibhaftig gesehen hat? Nike wohnte in einem Viertel voller Geschäfte und Cafes, die Straßen waren den ganzen Tag bis in die Nacht bevölkert von Passanten, Einkäufern, Studenten, Touristen. Was war letztlich der Auslöser für Korbinians Verhalten? Doch für die Beantwortung dieser Fragen waren wir vom Dezernat 11 im Grunde nicht zuständig.
    »Der kommt zurück«, sagte Thon am Abend des elften Juli, wenige Stunden nach meinem Gespräch mit Nike Horch. »Wir informieren die Ehefrau, das ist deine Aufgabe, Tabor, und der Rest erledigt sich von selbst. Und falls es nicht gleich ein Gewitter gibt, lad ich euch zu einer Maß in den Biergarten ein.«
    In dieser Nacht, der letzten, die Martin Heuer in meiner Wohnung verbrachte, begriff ich, dass die dauernde Gegenwart eines Menschen im Kreis anderer kein Beweis für seine wahre Existenz sein muss, sie ist vielleicht nur ein Akt von notdürftig erweitertem Alleinsein.

12
    D ann kam Sonja wieder in meine Wohnung.
    Und wenn wir erschöpft und hungrig auf dem Rücken lagen und uns an den Händen hielten, mühte sich draußen der Sommer vergeblich um Schönheit ab, wir im Zimmer waren unsere eigene unermesslich heitere Schöpfung, außerhalb der Dinge, für die wir bezahlt wurden, fern aller Vorschriften und Formulare. Nach meinen bisherigen, manchmal halbwegs geglückten, manchmal rasch verunglückten Verhältnissen mit Frauen gelang mir in Sonjas Nähe öfter als je zuvor wahre Anwesenheit, ein körpervolles Empfinden und zugleich lodernde Gedankenlosigkeit. Ohne von einem vagen Verlangen nach Abstand getrieben zu werden wie früher, blieb ich neben ihr liegen, lange und umfriedet, verschont von lauernden Worten, die mir wie üblich zu Hilfe gekommen wären, wenn ich die Dringlichkeit meines Entfernens vom Tatort hätte erklären müssen. Und am Morgen erwachte ich in der Obhut von Sonjas Haut, die weiß und weich war wie der Schnee meiner Kindheit und dabei wie ein einziges Vergeben aller Kälte.
    Es war die Zeit, in der das Glück existierte, und ich war ihm gewachsen.
    Und in jeder Nacht sprachen wir von Martin Heuer. Nach seinem Auszug am Abend des zwölften Juli, einem Freitag, hörten wir eine Woche lang nichts von ihm. Er war unterwegs, draußen, weglos, unbehaust und nachtsüchtig. Bestimmt hielt er es nicht lange bei seiner Freundin Lilo aus, die mit zwei oder drei anderen Frauen aus dem Milieu nahe der Siemenssiedlung eine Wohnung in einem Haus teilte, wo noch andere »Masseusen« ihre Dienste anboten. Wenn er gewollt hätte, hätte Lilo ihn vorübergehend bei
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