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Süden und der glückliche Winkel

Süden und der glückliche Winkel

Titel: Süden und der glückliche Winkel
Autoren: Friedrich Ani
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vor wie ein genervter Junge, der vor seiner Oma den netten dankbaren Enkel spielt, und wie ein alter Mann, der sich von seiner Frau wieder einmal zu einem albernen Kauf hat hinreißen lassen.
    Wir kannten uns, seit wir ein Jahr alt waren, durch ihn war ich zur Polizei gekommen, und auch wenn unser Leben außerhalb des Dezernats längst sehr unterschiedlich verlief, trafen wir uns noch immer in den Gärten unserer Erinnerung und nicht selten in gewissen Winkeln der Gegenwart, wo es niemanden außer uns gab, wo wir so taten, als wären wir Teil eines zeitlosen Spiels, unverwundet und belächelt von einem Gott, der an uns glaubte.
    Er warf die Hälfte seines Eises in den Abfalleimer und zündete sich eine Salem ohne an.
    Mit ungefähr vierzehn hatte er begonnen zu rauchen und seither keinen Grund gesehen aufzuhören. Und etwa zur gleichen Zeit hatte er begonnen zu trinken.
    Und irgendwann hatte ich aufgehört, ihn zu bitten, weniger zu rauchen und weniger zu trinken.
    Auf seinem knochigen, eingefallenen Gesicht stand eine Schweißschicht, seine wenigen Haare klebten wie ein dürres Nest auf seinem Kopf, und sein magerer Körper schien in der gleißenden Sonne zu schrumpfen. Er trug einen Rollkragenpullover, eine graue Stoffhose und eine graue Filzjacke, und mit seinem bleichen Gesicht, den Tränensäcken und dem unauffälligen Zittern der Hände unterschied er sich kaum von den Sandlern, die ebenfalls an diesem Kiosk zu Gast waren und nachts unter der Brücke campierten, lebenslang.
    Es war, als würde ich in diesem Moment, an diesem Mittag im Juli, einen Blick in die Zukunft werfen, in ein weit entferntes Zimmer im Winter, an dessen Wände ich die Bilder eines alten Glücks projiziere, um uns in der gütigen Ahnungslosigkeit unseres Erfolgs als Kriminalisten wiederzusehen, uns, Hauptkommissare im Dezernat 11, die wir mit unserer bewährten Mischung aus Logik, Fachwissen und gesundem Menschenverstand die Vermißtensache Korbinian zu einem für alle Beteiligten zufriedenstellenden Ende bringen würden, was denn sonst?
    Bevor wir uns auf den Weg machten, sahen wir hinunter zu den Uferwiesen, die übersät von Menschen mit nackten Oberkörpern waren, ein paar junge Männer spielten in der beißenden Hitze Fußball. Eine der unerschütterlichen Gemeinsamkeiten zwischen Martin Heuer und mir bestand in der totalen Ablehnung von Betätigungen in Gewässern. Schon in der Kindheit setzten wir nur unter Androhung von Gewalt oder aus Gründen der Angeberei vor Mädchen einen Fuß in den Taginger See, an dem wir aufwuchsen, und später zogen wir uns nie mehr aus, um eine Badehose zu tragen. Und nur weil Sonja Feyerabend nach dem frühen Tod ihres Vaters Sonnenblumenkerne am Ufer der Osterseen, etwa vierzig Kilometer südlich von München, verbuddelt hatte, begleiteten wir sie gelegentlich dorthin , bewunderten die tatsächlich gewachsene Pflanze und machten Sonja die Freude, mit ihr ins Wasser zu gehen und so zu tun, als könnten wir schwimmen. Wir konnten aber nicht schwimmen, wir achteten lediglich darauf, nicht unterzugehen, was uns – bis auf ein Mal – auch gelang. Dieses eine Mal verlor Martin den Boden unter den Füßen, zum Glück bemerkte ich rechtzeitig seine rudernden Arme und zog ihn an Land. Von diesem Tag an mied Martin sogar seine Badewanne.
    Für Kriminalisten schleppten wir, was gewisse Lebensumstände betraf, eine beachtliche Furchtsamkeit mit uns herum.
    Außerdem genierte Martin sich in nacktem Zustand für seine hervorstehenden Knochen und ich mich für meinen hervorstehenden Bauch. Für Männer über vierzig waren wir ziemlich genant.
    »Wie verschwunden? Wieso verschwunden? Wohin denn verschwunden?«
    In seinem dunkelroten Hemd mit den grünen Sternchen genierte sich Magnus Horch bestimmt nicht einmal hinter seinem Schalter. Er trank Eistee aus der Dose und aß ein Schinkenkäsebaguette, wobei er ständig mit der Zunge seine Lippen abschleckte.
    »Er ist heute Nacht nicht nach Hause gekommen«, sagte ich.
    »Ah was!« Horch trank einen Schluck, sah zur Tür des kleinen Aufenthaltsraums, in dem neben dem Tisch, an dem er saß, Taschen und Rucksäcke standen, anscheinend die Privatsachen der Angestellten und Lehrlinge, und schüttelte den Kopf. »Da fragt man sich, was die so den ganzen Tag beigebracht kriegen. Wie die mit unseren Kunden umgehen! Kein Wunder, dass alle Leute auf die Post schimpfen, bei dem Personal! Hinterher gehen die zum Aldi oder in den Kaufhof, da brauchts keinen Service, da drücken sie
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