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Süden und der glückliche Winkel

Süden und der glückliche Winkel

Titel: Süden und der glückliche Winkel
Autoren: Friedrich Ani
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den Leuten das Zeug in die Hand, fertig.«
    Er riss mit den Zähnen ein Stück Weißbrot ab, kaute aufwändig und spülte mit Eistee nach.
    »Sie haben sich gestern mit ihm getroffen, Herr Horch«, sagte ich.
    »Gestern? Mittag, ja.« Er verschlang den letzten Bissen, leckte sich die Lippen, zog ein Papiertaschentuch aus der Hose und wischte sich den Mund und die Hände ab. Dann lehnte er sich zurück und dachte nach. Martin war draußen in der Schalterhalle und befragte Mitarbeiter und Kunden und zeigte ihnen ein Foto von Korbinian, das uns seine Frau geliehen hatte. Auf dem Bild saß Korbinian am Tisch im Wohnzimmer, einen großen Blumenstrauß neben sich, und verzog keine Miene. Die Aufnahme stammte vom Tag seines fünfzigsten Geburtstags am ersten Mai.
    »Und er hat sich schnell von Ihnen verabschiedet«, sagte ich.
    »Schnell? Stimmt. Woher wissen Sie das?«
    »Von meiner Kollegin, sie hat Sie angerufen.«
    »Stimmt«, sagte er und stand auf. »Wieso nicht nach Hause gekommen? Das ist doch Unsinn! Wo soll er denn sein, der Cölestin?«
    »Worüber haben Sie im Biergarten auf dem Viktualienmarkt gesprochen, Herr Horch?«
    »Über nichts Bestimmtes«, sagte er, sah auf seine Armbanduhr und hob den Zeigefinger. Er bückte sich und holte aus einer schwarzen Aktentasche, deren Leder glänzte, einen Schokoriegel. »Ration geheim!«
    »Vor wem geheim?«, sagte ich.
    »Was?« Er riss das Papier nur an der Spitze ab und biss sofort hinein. Wieder leckte er sich mehrmals hintereinander die Lippen.
    »Worüber haben Sie gesprochen?«, sagte ich.
    Er kaute, sah zur Tür, schüttelte den Kopf. Die Gespräche draußen waren schlecht zu verstehen, ich hörte immer nur einzelne Worte, ab und zu stieg die Lautstärke.
    »Er hat gemeint, er wird jetzt mal Ernst machen mit den Fischen, seit Jahren will er sich welche zulegen, aber dann kann er sich nicht entscheiden. Der Cölestin braucht immer ewig, bis der was verändert.«
    »Was hat er schon verändert?«
    »Verändert? Nichts eigentlich.« Horch legte den halb gegessenen Riegel auf den Tisch. »Wieso soll der verschwunden sein? Wo soll der gewesen sein in der Nacht?«
    »Seit wann kennen Sie Herrn Korbinian?«
    »Seit fünfzehn Jahren mindestens.«
    »Beschreiben Sie ihn«, sagte ich. »Was ist er für ein Typ? Was zeichnet ihn aus?«
    Horch fuhr sich mit beiden Händen durch die hellbraunen geschneckelten Haare. »Was ihn auszeichnet? Was zeichnet den Cölestin aus? Den zeichnet aus, dass er zuverlässig ist. Wenn er sagt, er ist um fünf da, ist er Punkt fünf da. Ausgezeichnet! So genau kenn ich ihn auch nicht.«
    »Nach fünfzehn Jahren?«
    »Schon. Fünfzehn Jahre. Freilich. Wir arbeiten hier zusammen, wir haben die Umstellung gemeinsam erlebt, die neuen Kollegen, den Umbau, Computerschulung, das alles. Was man halt so tut den ganzen Tag, das ganze Leben, stimmts?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Was?« Er sah wieder auf die Uhr. »Sie, ich muss wieder raus, die Pause ist vorbei. Der ist bestimmt nicht verschwunden, der Cölestin, das ist ja so, als würd der plötzlich anfangen zu rauchen oder Fußball zu spielen. Oder als würd der auf einmal im Zirkus auftreten.« Er brach in ein abgehacktes Lachen aus.
    »Wie meinen Sie das, Herr Horch?«
    »Was? Wie ich das meine? Wegen dem Zirkus? Der Cölestin, das ist nicht gerade ein Gaudibursch, das mein ich damit. Zur Unterhaltung können Sie den nicht einsetzen, das wär schlecht fürs zahlende Publikum. Er macht seine Arbeit und dann geht er heim zu seiner Frau. Mehr macht der nicht. Aber er ist beliebt, die Leute mögen ihn, manche Kunden wollen nur von ihm bedient werden, von niemand sonst, die warten extra in der Schlange auf ihn. Das ist sein Metier, der Schalter ist sein Königreich, der liebt noch seine Arbeit, der ist Postler mit Leib und Seele, so einer ist das.«
    Ich sagte: »Kennen Sie seine Geliebte?«
    Horchs helles Gesicht nahm ungefähr die Farbe seines Hemdes an. Er wollte etwas sagen, verschluckte sich, fuhr sich mit der Zunge hektisch über die Lippen.
    Nach kurzem Anklopfen trat Martin ein. Er warf einen Blick auf Horch und begriff sofort, dass dieser an einer Antwort kaute.
    »Seine Frau hatte Recht«, sagte ich. »Korbinian hat eine Freundin.«
    »Freundin!«, sagte Horch, bemerkte, dass die Tür halb offen stand, und zog sie rasch zu. »Der hat keine Freundin! Das ist doch keine Freundin!«
    »Eine Geliebte«, sagte Martin.
    »Wer sagt das denn? Seine Frau? Das kann die doch gar nicht wissen!« Horch
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