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Süden und das heimliche Leben

Süden und das heimliche Leben

Titel: Süden und das heimliche Leben
Autoren: Friedrich Ani
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was anderes sein als Kellnerin, tagaus, tagein in einem Lokal stehen, für andere da sein, Unterhaltung haben, die Leute alle beim Namen kennen, ihre Geschichten, ihre Nöte, ein paar Ratschläge erteilen, über Witze lachen, Gläser spülen, Tische putzen, zusperren, schlafen. Und am nächsten Tag von vorn, und so das ganze Leben lang.
    Mach ich eigentlich was anderes? Ist doch überall derselbe Trott. Bloß die Ilka macht das alles gern, sie beklagt sich nie, hab noch nie gehört, dass sie mal über schwere Beine gejammert hätt, oder über die saufenden Stammgäste, die jeden Tag dasselbe Zeug erzählen, oder über ihren Chef. Ist mir ein Rätsel, wie man so ein Leben haben kann und niemals was auszusetzen hat. Begreifen Sie das? Irgendwann rastet doch jeder mal aus.«
    »Als Ilka Sie am ersten Juni angerufen hat, ist sie aber nicht ausgerastet«, sagte Süden.
    »Doch.«
    Er wartete ab.
    »Sie hat geschrien, so hab ich sie noch nie erlebt. Sie … sie ist ausgeflippt, ich hab zuerst gedacht, sie ist sturzbetrunken, das können Sie sich nicht vorstellen. Und ich hab auch erst gar nicht verstanden, was sie mir sagen wollt, und, ehrlich, so genau weiß ich es immer noch nicht.«
    »Davon haben Sie nichts der Polizei erzählt.«
    »Weil die Ilka mich inständig darum gebeten hat. Sie hat mich angefleht, niemandem was zu sagen. Im Namen unserer Freundschaft hat sie gesagt. Das hat mich irgendwie eingeschüchtert.«
    »Jetzt sind Sie nicht mehr eingeschüchtert.«
    »Doch«, sagte Margit Großhaupt. »Von Ihnen. Soll ich Ihre Haare nicht doch ein wenig anföhnen.«
    »Ich will nicht angeföhnt werden. Was hat Ilka vor?«
    »Das weiß ich nicht.« Sie griff nach Südens Arm, ließ ihn aber sofort wieder los. »Ich darf niemandem sagen, dass sie plötzlich verschwinden muss, dass sie auf keinen Fall dableiben kann und dass alles ganz schrecklich sei. In diese Formulierung hat sie sich unglaublich reingesteigert, sie ist immer lauter geworden. Alles sei schrecklich und grauenhaft und völlig unsinnig, und überhaupt würden alle sie immer von oben runter behandeln und ihr Dinge anschaffen, die sie nicht will. Das gehe schon ein halbes Leben so, und jetzt würd sie es denen allen mal zeigen … Ich konnte sie kaum beruhigen. Wen meint sie mit ›denen allen‹? Weiß ich nicht. Hat sie mir auch nicht gesagt. Sie hat geschimpft und getobt am Telefon, und am Ende hat sie mich noch mal beschworen, Stillschweigen zu bewahren. Dreimal hintereinander musst ich ihr versprechen, dass sie sich auf mich verlassen kann. Natürlich wollt ich wissen, was vorgefallen war. Keine Antwort. Wie hätt ich ahnen sollen, dass sie ihr Handy nicht mitnimmt, das war schlecht für mich. So hat die Polizei gleich gemerkt, dass ich gelogen hab. Ich hab aber nur wegen Ilka gelogen. Außerdem weiß ich ja wirklich praktisch nichts.«
    Süden strich sich die Haare nach hinten, die noch nicht vollständig getrocknet waren. Das Shampoo hatte nach Aprikose gerochen. »Ilka sollte das Lokal weiterführen, die Brauerei hat ihr einen Vertrag angeboten.«
    »Davon hat sie mir nichts erzählt. Das wär ja super.«
    »Vor der Kneipe hat öfter ein Mann auf sie gewartet.«
    »Wer denn?«
    »Ein Mann, den sie offenbar kannte.«
    »Ich weiß nichts von einem Mann.«
    »Denken Sie bitte nach, Frau Großhaupt.«
    Während sie den Mund verzog und angestrengt über die Straße schaute, tastete Süden nach dem Zettel in seiner Hosentasche.
    Vielleicht war heute Abend ein guter Zeitpunkt für 1  Bier mit 1  Kommissarin.
    »Mir fällt nur der Georg Mohn ein«, sagte die Friseurin. »Aber den hat die Ilka schon längst in den Wind geschossen. Der hat sie angebrüllt und geschlagen, so einer war das, ein aggressiver Choleriker. Ein einziger großer Irrtum. Das ist mindestens zwei Jahre her, seit sie den in die Wüste geschickt hat. Mich hat er auch versucht anzumachen. Eine Arschgeige wie aus dem Bilderbuch.«
     
    In einem fünfstöckigen Haus in der Winzererstraße, dessen Fassade von einem Baugerüst verstellt wurde, rauchte die Arschgeige aus dem Bilderbuch in einer entkernten Erdgeschosswohnung gerade eine Zigarette, als Süden in der Tür auftauchte.
    Das Gespräch zwischen ihm und Georg Mohn verlief von Anfang an weitgehend einseitig und auf übersichtlichem Niveau. Die Adresse hatte Süden von der Firma erfahren, in der Mohn als Fliesenleger arbeitete, was in den Augen des Arbeiters offensichtlich eine Art Landesverrat von Seiten der Sekretärin darstellte.
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