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Süden und das heimliche Leben

Süden und das heimliche Leben

Titel: Süden und das heimliche Leben
Autoren: Friedrich Ani
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beschreiben sie als sehr zurückhaltend, verschwiegen, eigenbrötlerisch.«
    »Du hast gesagt, die hätten alle nur wirr durcheinandergeredet.«
    »Wirr, aber nicht irr.«
    »Nicht nur ein Hellseher, sondern auch ein Dichter.« Die Kommissarin sah auf ihre Uhr, die ein rotes Zifferblatt mit einem Motiv hatte, das Süden nicht erkennen konnte. Am liebsten hätte er den Kopf vorgestreckt, zum Epizentrum des Duftes hin, der ihn ein wenig ins Wanken brachte. »In zehn Minuten haben wir unsere erste Besprechung. Kümmerst du dich heut noch um Margit Großhaupt?«
    »Wenn Ilka ihr Handy einfach mitgenommen hätte, wäre ihre Freundin mit ihren Lügen durchgekommen«, sagte Süden.
    »Warum hat sie das Handy nicht mitgenommen?«
    »Vielleicht hat sie es vergessen.«
    Die Kommissarin sah ihm in die Augen, zog die Stirn in Falten und lächelte. In sommerlichem Überschwang stimmte Süden in dieses Lächeln mit ein. »Auf die Idee bin ich überhaupt nicht gekommen. Wieso eigentlich nicht? Wir dachten natürlich gleich, das sei ein Hinweis auf einen geplanten Suizid. Vergessen! Wieso nicht? Hast du schon mal dein Handy vergessen?«
    »Ich benutze es fast nie«, sagte Süden. »Meine Chefin hat es mir aufgezwungen.«
    »Du hast es auch nicht leicht.« Sie streckte ihm die Hand hin. »Servus, Süden, ruf mich an, wenn du was erfahren hast.«
    Er gab ihr die Hand, und sie machte sich auf den Weg durch die Halle. Süden sah ihr hinterher. Seine Blicke tummelten sich auf ihrer wiesengrünen Jacke. Er wusste nichts von der Kommissarin, außer ihr Alter und dass sie nichts gegen Hellseher hatte. Ihr Gesicht war hell und unscheinbar, wie ihr Wesen. Sie machte kein Aufhebens von sich, aber ihre Wachsamkeit war so deutlich Teil ihrer Persönlichkeit wie die Wahl ihres Parfüms. Um den Hals trug sie eine schmale goldene Kette, die fast nicht zu ihr passte und vielleicht ein Erbstück war, an den Fingern keine Ringe. Ihre Fingernägel waren matt und kurz geschnitten. Wenn sie ging, wirkten ihre Bewegungen vollkommen ruhig. Als sie das Restaurant verließ, hatte Süden einen Moment lang den Eindruck, sie wollte sich noch einmal umdrehen, was sie dann nicht tat.
    Erst jetzt warf er einen Blick auf den Zettel. Auf der Vorderseite hatte Birgit Hesse mehrere Namen mit Telefonnummern und Adressen notiert, auf der Rückseite stand: »Meld dich mal, wenn du magst, vielleicht geb ich dir 1  Bier aus.«

[home]
    3
    I n seiner Zeit als Übergangsober am Kölner Eigelstein hatte er in Gregoris Friseurladen bei jedem Besuch ein Handtuch über den Spiegel hängen lassen. Er konnte sich unmöglich dreißig Minuten lang in die Augen schauen. Auch ertrug Süden Gregoris Spiel mit der Schere nicht, deren Klacken und Schnappen einen unheimlich anmutenden Rhythmus erzeugte. Süden genügte, dass etwas auf und hinter seinem Kopf passierte, für das er am Ende bezahlte, ohne haarklein die Einzelheiten zu kennen.
    Anders als Margit Großhaupt in der Münchner Sonnenstraße hatte Gregori sein Handwerk nicht nach dreijähriger Ausbildung mit einer Gesellenprüfung abgeschlossen, sondern sich das Schneiden und Rasieren weitgehend blutlos bei einem Minsker Mitemigranten, der später die Branche wechselte und erschossen wurde, selbst beigebracht. Süden war überzeugt, dass Gregori Vidal Sassoon bis heute für einen südkoreanischen Geheimagenten hielt.
    Im Salon an der Sonnenstraße hatte Süden zuerst gezögert, nach einem großen Handtuch zu fragen. Dann bat er Margit Großhaupt darum, und sie sagte: »Das ist nicht Ihr Ernst.«
    »Doch.«
    »Ich arbeite mit dem Spiegel, Sie sind doch nicht zum ersten Mal beim Friseur.«
    »Nein.«
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
    »Holen Sie ein Handtuch, hängen Sie es vor den Spiegel, dann erkläre ich Ihnen, was Sie sagen sollen.«
    »Wie sieht das denn aus, wenn da ein Handtuch hängt?«
    Süden hatte nasse Haare und ein Handtuch über der Schulter. Auf der anderen Seite des Raums saßen zwei Frauen, von denen die eine sich die Haare föhnte und die andere, Lockenwickler im Haar, in einer Illustrierten blätterte und zwischendurch an ihrem Glas Prosecco nippte.
    »Ich kann das nicht machen.«
    »Dann bezahle ich Ihnen das Waschen, und wir unterhalten uns trotzdem«, sagte Süden.
    »Sie müssen das verstehen mit dem Handtuch. Wenn meine Chefin das sieht, flieg ich raus.«
    »Wegen eines Handtuchs vor dem Spiegel?«
    »Das wär absolut unprofessionell, so was zu machen.«
    »Ich habe das immer so gemacht.«
    »Aber
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