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Süden und das heimliche Leben

Süden und das heimliche Leben

Titel: Süden und das heimliche Leben
Autoren: Friedrich Ani
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wieso denn?«
    »Wir gehen ins Café nebenan«, sagte Süden.
    »Das darf ich nicht, ich hab Dienst.«
    »Dann reden wir hier.«
    »Erst föhn ich Ihre Haare.«
    »Die trocknen freiwillig.«
    »Wenn Sie meinen.«
    Nachdem er bezahlt hatte, begleitete Margit ihn trotz ihrer Bedenken vor die Tür. Süden hatte versprochen, ihrer Chefin, falls sie auftauchen sollte, die Situation zu erklären.
    Auf der Sonnenstraße schoben sich die Autos in Dreierreihen von Ampel zu Ampel. Musik und die Stimmen überdrehter Radioansagerinnen dröhnten aus geöffneten Fenstern. In der Mitte der Fahrbahn rauschten Straßenbahnen vorüber. Auf dem Bürgersteig drängten sich die Passanten. Kinder auf Fahrrädern erzeugten in Sekundenschnelle Wutbürger, deren graues Geraunze eine Gruppe asiatischer Touristen verblüffte wie Sushi an Sauerkraut und zum kollektiven Lachen brachte.
    »Sie machen sich keine Sorgen um Ihre beste Freundin«, sagte Süden, der neben der Friseurin vor dem Schaufenster stand, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, mit einem angenehm kühlen Empfinden am Kopf.
    »Wer behauptet denn so was? Ich mach mir schon Sorgen. Glauben Sie, mir ist das gleich, was mit Ilka passiert ist? Ich dachte, Sie wollten was wissen von mir, stattdessen beleidigen Sie mich.«
    »Sie wissen nichts.«
    »Bitte?«
    »Ich habe mit der Kripo gesprochen, Sie wissen nichts, sagt die ermittelnde Kommissarin.«
    »Ich weiß auch nichts.«
    Süden schwieg.
    Ein Taxifahrer hupte einen am Straßenrand einparkenden Autofahrer an. Er hupte, bis das Auto zum Stehen gekommen war, dann fuhr er im Schritttempo vorbei, fuchtelte mit der Hand, drückte aufs Gas, raste zur fünf Meter entfernten roten Ampel und bremste scharf ab. Für Münchner Taxifahrer, dachte Süden, galt das Gleiche wie für weißrussische Friseure: Sie mussten ihren Beruf nicht von der Pike auf gelernt haben, um ihn gnadenlos auszuüben.
    »Ich weiß nicht, wo Ilka ist«, sagte die fünfundvierzigjährige Friseurin und bemühte sich um ein ernstes Gesicht.
    »Das glaube ich Ihnen.«
    »Wirklich?«
    »Was wissen Sie von ihr?«, sagte Süden. »Ist sie ein offener Mensch, eine Frau mit vielen Freundinnen?«
    »Nein … Sie ist … Wenn man sie kennenlernt, wirkt sie vielleicht so … so dass man denkt, man wird schnell warm mit ihr und sie redet mit einem und ist immer gut drauf. Das stimmt aber nicht. Sie ist nicht immer gut drauf, sie tut nur so. Ich mein das nicht abwertend, ich mein nicht, dass sie jemandem was vorspielt, dass sie falsche Sachen sagt oder lügt.
    Wir kennen uns seit zehn oder zwölf Jahren, wir haben uns beim Schwimmen im Michaelibad kennengelernt, da sind wir beide früher oft hingegangen. Jetzt nicht mehr, schon lang nicht mehr, ich weiß gar nicht, wieso nicht. Danach hab ich sie regelmäßig in ihrer Kneipe besucht. ›Charly’s Tante‹, nicht gerade meine Art von Stammkneipe, aber die Ilka fühlt sich da wohl, sie ist da zu Hause. Und sie kann gut mit Gästen, sie ist schnell und aufmerksam, die Leute, besonders die Männer, reden gern mit ihr, machen rum, sie ist ja allein, wie ich auch. Singles sind wir, in der Hauptstadt der Singles.
    Was ich sagen will, ist, wenn man nur so mit ihr redet, ein paar Witze macht, nichts Besonderes, nichts, was mal wichtig wäre, dann dreht sie voll auf und ist mittendrin. Sie verträgt auch eine Menge Alkohol, im Gegensatz zu mir, ich bin nach zwei Aperol Sprizz angetrunken, furchtbar ist das, lästig. Mit der Ilka kann man um die Häuser ziehen, was sie natürlich selten macht, weil sie jeden Tag arbeitet, außer dienstags. Wenn wir uns mal allein getroffen haben, hat sie mich immer ausgefragt, wie es meinem Vater nach seinem Skiunfall geht, wie meine Mutter nach der Scheidung allein zurechtkommt, solche Sachen, und ich hab mich ihr anvertraut.
    Von ihr dagegen hab ich wenig erfahren. Das liegt auch daran, dass sie nicht gern über ihre Familie spricht, hat sie nie getan, da ist eine gläserne Mauer zwischen ihr und ihrer Mutter und ihrer Schwester, die jetzt wieder in München lebt. Die hab ich einmal getroffen, seltsame Frau, die Paula, hartes Wesen, hasst Männer, glaub ich, aber lesbisch ist sie nicht, sagt die Ilka. Geht mich nichts an.
    Ilka ist eher die Sanftmütige, die zeigt nicht, was sie fühlt, sie wischt Probleme vom Tisch und macht einfach weiter. Ich bewundere solche Menschen, bei mir muss immer alles raus, und hinterher geht’s mir auch nicht besser.
    Manchmal hab ich schon gedacht, die Ilka wollt nie
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