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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels
Autoren: Friedrich Ani
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Etwas, das die Tür nicht aufstieß. Sondern aufs Neue verschloss. Ich hatte nichts erfahren. Nichts, was ich nicht schon geahnt hätte.
    »Gehen Sie bitte!«, sagte sie hinter der geschlossenen Tür.
    »Warum haben Sie Anzeige erstattet?«, fragte ich. Keine Antwort. Ich hatte Lust, zurück in die Küche zu gehen und das Bier auszutrinken. Und das tat ich dann auch. Anschließend stellte ich mich vor die Badezimmertür.
    »Wir werden Ihren Mann nicht suchen«, sagte ich. Sie sagte: »Dazu sind Sie verpflichtet.«
    »Nein.«
    Wir schwiegen. Stille. Die Fenster waren alle geschlossen. Im Flur brannte Licht. Die Fenster waren sauber geputzt, aber klein, in den zweiten Stock fiel keine Sonne. Ich betrachtete die Jacken und Mäntel an der Garderobe. Dann klopfte ich an die Badezimmertür.
    »Hat Ihr Mann einen Lieblingsplatz? An der Isar. Irgendwo in der Stadt. Ein Gasthaus.«
    Ich bekam keine Antwort. Ich klopfte wieder.
    »Er hat keinen Lieblingsplatz.« Die Stimme klang, als würde sich Frau Grauke ein Handtuch vor den Mund halten.
    Ich klopfte ein drittes Mal.
    Ein Schlurfen war zu hören. »Seine Werkstatt ist sein Lieblingsplatz.«
    »Ich möchte die Werkstatt sehen.«
    »Jetzt?«
    »Unbedingt!«
    In der Schusterei hing der Geruch von Leder, Klebstoff und Gummi, von Moder und altem Gemäuer. In der Ecke stand ein klappriger Ölofen, die Regale waren voller Schuhe, ebenso die Ablage der Schleifmaschine. Vor dem Fenster ein Holztisch, übersät mit Utensilien, darunter ein Stapel Zeitungen.
    Lotte Grauke war in der Tür zum Treppenhaus stehen geblieben, nachdem sie aufgesperrt und das Licht angeknipst hatte.
    Ich schaute mich um. Und sog den Geruch ein. Schon als Kind auf dem Land, wo ich aufgewachsen war, hatte ich ganze Nachmittage beim Schuster Vollenklee verbracht, der immer dieselbe grüne Schürze trug, mit seinem runden Hammer um sich schlug und manchmal den Arm hob und in meine Richtung fuchtelte, was mich erschreckte.
    Unter dem schweren Holztisch entdeckte ich zwei leere Bierflaschen.
    »Trinkt Ihr Mann bei der Arbeit?«
    »So wie Sie«, sagte Frau Grauke.
    Ich stellte die zwei Flaschen auf den Tisch. Frau Grauke atmete tief ein. Und schwieg. An einer der Flaschen war ein Abdruck. Wie von Lippenstift. Ich roch daran. Dann roch ich an der anderen Flasche. Dann stellte ich die Flaschen wieder unter den Tisch.
    »Kommen Sie oft hierher?«, sagte ich. Sie sagte: »Nie.«
    »Arbeiten Sie?«
    »Manchmal. In einer Schneiderei. Ich helf da aus.«
    »Wo ist die?«
    Sie nannte mir die Adresse. Auf einem der beiden Schemel lag zusammengerollt eine braune Wolldecke und darauf ein Kissen. Ich sah zu Frau Grauke, die so tat, als beachte sie mich nicht. Ein paar Mal drehte sie den Kopf nach hinten. Anscheinend fürchtete sie Nachbarn zu begegnen.
    Neben der Nagelmaschine sah ich ein blaues Knäuel. Ich bückte mich. Ein Schlafsack, in die Ecke gestopft. Ich roch daran.
    »Hat Ihr Mann hier geschlafen?«, sagte ich. Sie sagte: »Wozu denn?«
    Das reichte für heute. Ich ging ins Treppenhaus.
    »Warum ist Ihr Mann weggegangen, Frau Grauke?« Mittlerweile hatte sie sich wieder unter Kontrolle.
    Vielleicht hatte sie im Bad eine Tablette genommen. Sie sperrte ab und spielte mit dem Schlüsselbund.
    »Ich kanns Ihnen nicht sagen«, sagte sie. Sie schaute zu mir hoch und grinste eine Sekunde lang. Kein Lächeln, ein Grinsen.
    »Möchten Sie, dass er zurückkommt?«
    Sie ging zur Treppe. Sie hatte jetzt Sandalen an. Sie legte die Hand aufs Geländer und blieb stehen. Draußen fuhren die Autos schneller, die Kinderstimmen klangen aufgeregt, es waren keine Lastwagen mehr unterwegs, keine Mülltonnen und Container schepperten. Wer jetzt hupte, tat dies, weil er es eilig hatte, und nicht, um jemanden zu grüßen. Im Treppenhaus duftete es nach Essen.
    »Wieso hätt ich sonst die Anzeige gemacht?«, sagte Frau Grauke. Sie drehte sich nicht zu mir um.
    »Vielleicht weil Ihre Schwester Sie überredet hat.«
    »Nein«, sagte sie und stieg die Stufen hinauf. Sie ging gebückt, mit der Hand fest den Holzlauf des Geländers umfassend. Als wäre sie auf einmal alt. Und zermürbt von allen Fragen. Als hätte es für sie plötzlich keinen Sinn mehr, auf ihren Mann zu warten. Und die Anzeige war nur eine Art eheliche Verpflichtung gewesen, die freundliche Einhaltung eines ungeschriebenen Paragrafen.

3
    W enn es keine konkreten Hinweise gibt, lassen wir die Sache erst mal liegen«, sagte Volker Thon. Ich hatte ihm von meinen Gesprächen
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