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Süchtig

Titel: Süchtig
Autoren: Matt Richtel
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4Runner und versuchte, vernünftig zu denken. So hübsch war sie auch wieder nicht.
    Außerdem ließ sie sich entweder von ihrer Freundin alles vorschreiben, oder sie fand mich nicht attraktiv genug. Also, was sollte das Ganze?
    Zumindest in einer Hinsicht war meine Reise ein Erfolg gewesen. Ich hatte beschlossen, den Beruf zu wechseln. Zwei Monate zuvor hatte ich mein Medizinstudium abgeschlossen, aber ich musste mir eingestehen,
dass ich die Ausbildung furchtbar gefunden hatte und nicht als Arzt arbeiten wollte.
    Fast eine Woche lang hatte ich oben in den Bergen darüber nachgedacht, ob ich mich bei einem Krankenhaus bewerben sollte, hatte mich aber dafür entschieden, Medizinjournalist zu werden. Statt ein angesehenes Mitglied der Gesellschaft zu werden, wie es jeder vernünftige Mensch getan hätte, wollte ich lieber über Gesundheitsthemen von öffentlichem Interesse schreiben. Außerdem konnte ich mir meine Zeit so deutlich freier einteilen, als wenn ich Doktor spielte. Die Tatsache, dass ich mit hunderttausend Dollar in der Kreide stand und trotzdem Journalist werden wollte, deutete darauf hin, dass ich den richtigen Idealismus für einen solchen Sprung ins kalte Wasser besaß.
    Auf dem Heimweg kam ich an der Marina am Stadtrand vorbei. In letzter Sekunde kam mir der Gedanke, die Bootsliegeplätze zu überprüfen – immerhin ist der Salamander ein Tier, das sowohl im Wasser als auch an Land lebt.
    Vermietet wurden die Liegeplätze in Ernie’s Tackle and Dive Shop, der neben Anglerbedarf auch Taucherausrüstungen anbot. Der Verkäufer sah aus, als stünde er unter Drogen, und wollte mir ohne Genehmigung des Geschäftsführers, der bald kommen sollte, nichts zu den Booten und ihren Liegeplätzen sagen. Die Vorstellung, einen Liegeplatz nach dem anderen abzugehen, war selbst mir zu viel.
    Also wartete ich und probierte in der Zwischenzeit die Taucherbrillen auf.
    »Endlich, mein edler Ritter in der schimmernden Taucherrüstung«, sagte eine Stimme.

    Die Salamander, auf der Annie und Sarah ihren Urlaub verbrachten, lag ganz in der Nähe.
    »Ich hatte wirklich gehofft, dass wir uns wiedersehen«, sagte ich.
    »Ich auch«, erwiderte Annie.

4
    Für unser erstes Rendezvous hatte ich eine flippige mexikanische Bar im Mission District vorgeschlagen. Das Essen dort war ebenso typisch wie die Mariachiband, die unangenehme Gesprächspausen überbrücken konnte, falls wir uns nichts zu sagen hatten.
    Ich bin im Allgemeinen nicht abergläubisch, aber als ich auf dem Weg zu unserem Treffen auf dem Gehweg ein Fünfcentstück mit gezacktem Rand entdeckte, hob ich es auf, wünschte mir etwas und warf es über die linke Schulter. Wahrscheinlich vermischte ich dabei verschiedene Rituale. Auf jeden Fall wusste ich genau, was ich mir wünschte, und stellte mir vor, dass die Münze fünfmal so viel Zauberkraft besaß wie ein Penny. Vielleicht gab es auch für mich jemanden, der mich aus meiner Rolle als unbeteiligter Beobachter erlöste. Hoffentlich mochte diese Person Margaritas.

    Annie trug ein eng anliegendes, ärmelloses T-Shirt. Offenkundig besaß sie genug Selbstvertrauen, um sich ein wenig zu lässig zu kleiden.
    »Tut mir leid, dass ich zu spät komme«, sagte sie. »Der Verkehr auf dem Highway 101 war mörderisch.«
    Annie pendelte nach Palo Alto, einem Vorort von
San Francisco, den der Rest der Welt als Silicon Valley kennt.
    Ich stellte ihr einen Drink hin. »Trinken wir auf eine Welt, in der Kinder nicht hungern, Obdachlose im Four Seasons wohnen und es auf den Freeways keinen Stau gibt«, sagte ich.
    Sie erzählte mir das Wichtigste über sich. Sie war sechsundzwanzig und in San Francisco aufgewachsen. Studiert hatte sie an einem Elite-College im Nordosten. Sie ging nur selten aus, weil ihr Lachen immer wieder als Zeichen für Verliebtheit missdeutet wurde und Verehrer anzog, mit denen sie eigentlich nur befreundet sein wollte. In Zukunft wollte sie bei ihren Verabredungen daher am liebsten über deprimierende Themen sprechen, die jede Vertraulichkeit im Keim erstickten.
    »Phobien zum Beispiel.«
    Sie lachte. »Ich habe tatsächlich eine: Wattestäbchen im Ohr.«
    »Angst, dass sie sich ins Gehirn bohren?«
    »Weniger. Mein Kopf ist der einzige Ort, an dem ich wirklich allein sein kann.«
    »Und gibt es etwas, das Sie traurig macht?«
    Auch das gab es: die letzten dreißig Sekunden von Saturday Night Live, wenn der Abspann lief und die Schauspieler winkten, weil sie dann aus der Traumwelt der Show in den Alltag
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