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Süchtig

Titel: Süchtig
Autoren: Matt Richtel
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verließ und in einen roten Saab neueren Modells sprang.

    Aravelo ging sofort darauf ein. »Fahndung nach einem roten Saab neueren Modells, der von einer attraktiven …«
    Er sah mich an. Offenbar erwartete er, dass ich ihm half, den Satz zu beenden.
    »Sie hatte hellbraunes Haar«, ergänzte ich, ohne mir sicher zu sein.
    »… Brünetten gefahren wird«, diktierte Aravelo energisch. »Das reicht!« Er sah mich an. »Noch eine Frage. Welchen Pseudoskandal decken Sie im Moment gerade auf?«
    Ich zuckte die Achseln. Aravelo entließ mich, erklärte aber, er werde sich bei mir melden.
    Abschätzend betrachtete ich meine Umgebung: zahllose Kranken- und Feuerwehrwagen, kriminalistische Hightech-Ausrüstung, Schaulustige und Vertreter der Medien, die am anderen Ende des Häuserblocks von blauen Sperren zurückgehalten wurden. In der Nähe warteten mehrere leicht verletzte Gäste aus dem Café auf ihre Befragung durch Aravelo. Auf der anderen Straßenseite richtete eine Blondine ihr Teleobjektiv auf meinen Kopf. Wollte sie mich fotografieren?
    Mit raschen Schritten ging ich in ihre Richtung. Sie stand immer noch hinter dem gelben Absperrband und fotografierte den Tatort. Eine Narbe, die mich entfernt an die Küstenlinie von Kalifornien erinnerte, zog sich über ihr Kinn. Aus der Nähe fiel mir ihre Kamera auf. Es war ein altes, nichtdigitales Modell in einer Ledertasche mit weichem, braunem Futter. Trotz des Teleobjektivs kein besonders guter Apparat für eine professionelle Journalistin. Ich fragte die Frau, ob sie mich fotografierte und warum.

    »Ich bin Freiberuflerin«, erklärte sie. »Ich tue nur meine Arbeit.«
    Sie richtete die Kamera auf mich. Ich fuchtelte mit den Händen vor meinem Gesicht herum. »Kennen Sie Annie Kindle?«, platzte ich dann zu meiner Überraschung heraus.
    In diesem Augenblick ging auf dem Gehweg ein Vater mit seinem Sohn an der Hand vorbei. »Daddy, was ist mit dem Mann los?«, wollte der Junge wissen.
    Ich sah an mir herab. Kein Wunder, dass ich dem Kind aufgefallen war. Shorts und Hemd waren zerfetzt, meine Knie aufgeschürft, die Hände rot von getrocknetem Blut. Mein rechter Ellbogen war bandagiert. Splitt hatte sich in meine Schienbeine gegraben. Ein lohnendes Objekt für eine Fotografin.
    Ich holte tief Luft. Dann schloss ich die Augen und kehrte in eine unwiderruflich vergangene Zeit zurück: zu Annies Lachen. Vielleicht war ich der einzige Mensch auf Erden, der sich auf den ersten Klang verliebt hatte.

3
    Es tanzte durch Jeremy’s Bar and Grill. Es schwebte über dem Stimmengewirr der flirtenden Paare und ließ mich über meinem Guinness erstarren. Ihr Lachen war klar, selbstbewusst, frei.
    Normalerweise trank ich nicht allein. Aber normalerweise zog ich mich auch nicht in kleine Bergstädtchen zurück, um Entscheidungen zu treffen, die mein Leben bestimmen sollten.
    Wenn eine Stadt »Beach« heißt, denke ich eigentlich ans Meer, aber Kings Beach liegt drei Stunden nord östlich von San Francisco am Nordufer des Lake Tahoe.
    Die Stadt hat hauptsächlich einfache Motels und Restaurants zu bieten und Kajakvermietungen, die auf Ski umsteigen, wenn die Sonne dem Schnee weicht. Ein Ferienort für Familien oder, in meinem Fall, ein zeitweiliger Rückzugsort für verwirrte Hochschulabgänger.

    Das Lachen gehörte zu einer schlanken Brünetten mit schulterlangem Haar und dunklem Teint, der vermuten ließ, dass sie asiatisches Blut hatte. Vielleicht entsprach sie nicht dem klassischen Schönheitsideal, aber
sie war hundertprozentig mein Typ. Sie wirkte sanft, leidenschaftlich und freundlich – oder einfach nur bemüht zu gefallen.
    Ihre Freundin war ein ganz anderer Fall.
    Als die beiden näher kamen, merkte ich, dass die einzigen freien Plätze in der Bar die Hocker neben mir waren.
    Mir blieben nur Sekunden, aber ich handelte schnell. In aller Eile wandte ich mich ab, führte mein Bier an die Lippen und widmete mich angelegentlich dem Baseballspiel, das im Fernsehen lief. Hätte ich auch nur einen Augenblick später reagiert, hätten die beiden mich dabei ertappt, wie ich sie anstarrte. Dann wäre ich als Lustmolch abgestempelt gewesen und – noch schlimmer – hätte den Vorteil gespielter Gleichgültigkeit verloren. Jemand tippte mir auf die Schulter. Die Freundin.
    »Ist hier frei?«, fragte sie, wobei mir ihr Ton deutlich zu verstehen gab, dass ein Ja oder Nein als Antwort völlig ausreichte.
    »Nur zu«, sagte ich und drehte mich zu den beiden um. »Für Sie immer.«
    Die Frau
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