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Süchtig

Titel: Süchtig
Autoren: Matt Richtel
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ausmachen. Vielleicht konzentrierte ich mich deswegen auf das einzige kleine Körperteil, das
ich entdecken konnte: den unverhältnismäßig winzigen Adamsapfel des Lieutenants. Er sah aus wie ein Irrtum der Natur.
    »Dodo«, sagte Aravelo mit lauerndem Blick.
    Ich drehte mich nach Weller um.
    »Der Lieutenant liebt Spitznamen«, erklärte dieser. »Das klingt jovial. Tatsächlich will er damit zeigen, wer das Sagen hat.«
    »Das wäre alles, Danny-Boy. Verzieh dich«, sagte der Lieutenant ohne die geringste Verlegenheit. »Wir brauchen keinen Aufpasser.«
    Wellers Kiefermuskeln verspannten sich. Er drehte sich um und verschwand.
    Aravelo zog seinen Stuhl näher an mich heran. »Der Dodo – eine ausgestorbene Vogelart. Ein Schicksal, das euch Printjournalisten auch ereilen wird. Die Nachrichtenübermittlung über das Internet ist viel effizienter, das wird euer Tod sein.«
    In San Francisco dachten selbst die Cops in Geschäftsmodellen. Ganz zu schweigen davon, dass »Dodo« auch »Trottel« hieß.
    »Zunächst einmal möchte ich betonen, dass ich mir diesen Fall nicht nehmen lasse«, fuhr der Lieutenant fort. »In ein paar Stunden stellen FBI, Staatspolizei und wahrscheinlich auch die Marines hier alles auf den Kopf. Aber für das San Francisco Police Department leite ich die Ermittlungen. Und dabei bleibt es, selbst wenn wir letztendlich nur eine kleine Rolle spielen.«
    Offenbar fiel ihm meine verwirrte Miene auf.
    »Ich werde Sie wie jeden anderen Gast im Lokal behandeln – nicht wie den Mann, der mit seiner besserwisserischen Schreiberei das Leben meines Bruders
zerstört hat. Soweit es mich angeht, gehört das in die Vergangenheit – oder in die Zukunft. Im Augenblick ist es irrelevant.«
    Vermutlich hatte er Angst, dass ihm der möglicherweise größte Fall seiner Laufbahn entzogen wurde, wenn ein Interessenkonflikt drohte.
    »Sie haben das Gespräch auf meinen Job gebracht«, sagte ich ruhig.
    Aravelo ignorierte mich und wandte sich an seinen Protokollführer. »Es geht los«, sagte er. Dann drehte er sich zu mir. »Was wollten Sie heute in dem Café?«
    Die Frage klang harmlos, besaß aber einen unangenehmen Beigeschmack.
    »Ich habe einfach nur dagesessen und ein Buch gelesen.«
    »Und deswegen waren Sie in dem Café?«
    »Ja, das habe ich doch gerade gesagt.«
    Aravelo musterte mich. »Nein, Sie haben nur gesagt, was Sie dort getan haben. Warum Sie in das Café gegangen sind, haben Sie mir nicht erklärt.«
    »Also gut, ich wollte dort lesen, Kaffee trinken und unter Leuten sein, die genau dasselbe tun.«
    »Lesen Sie oft in der Öffentlichkeit?« Bei ihm klang das wie Exhibitionismus.
    Ich zuckte die Achseln.
    Aravelo warf einen flüchtigen Blick auf seinen Protokollführer. Dann sah er mich eindringlich an. »Hören Sie, mehr als fünfzehn Menschen sind bei diesem völlig unerklärlichen Zwischenfall zu Schaden gekommen. So etwas darf es eigentlich gar nicht geben. Also gibt es keine dummen Fragen. Noch einmal: Wo waren Sie zum Zeitpunkt der Explosion?«

    Ich seufzte. Sein Stil gefiel mir nicht, aber er hatte Recht. »Ich stand an der Eingangstür. Ich wollte … kurz nach draußen gehen.«
    »Sie haben also genau im Augenblick der Explosion das Café verlassen.« Er legte eine kurze Pause ein. »Gab es dafür einen Grund?«
    Ich hatte gewusst, dass diese Frage kommen musste, war mir aber nicht sicher, was ich sagen sollte. Wenn ich nicht ehrlich war, konnte das die Ermittlungen behindern. Andererseits wollte ich nicht in die Sache verwickelt werden, und genau das würde passieren, wenn ich alles erzählte. Ich entschied mich für den Mittelweg.
    »Ich habe eine Frau gesehen«, sagte ich. »Sie ging an meinem Tisch vorbei und fiel mir auf, weil sie so …«
    Ich suchte nach dem richtigen Wort, fand aber nur eine Empfindung, mit der ich nichts anfangen konnte, eine Mischung aus Hoffnung und tiefer Einsamkeit.
    »So was?«, fragte der Lieutenant. »Beschreiben Sie sie.«
    »Anmutig.«
    »Und deswegen sind Sie dieser fremden Frau auf die Straße gefolgt?«
    Vielleicht klang das ein wenig merkwürdig, aber so merkwürdig auch wieder nicht. Jeder Mann begegnet manchmal einer Frau, die ihn so fasziniert, dass er ihr ein Stück nachgeht oder sich neben sie an die Bar setzt, in der Hoffnung, dass sich eine Gelegenheit ergibt, sie anzusprechen. Ich erzählte, was passiert war – zumindest das meiste davon. Ich sagte, dass ich nicht in die Nähe der Frau kam, weil sie – offenbar in Eile – das Café
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