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Sturmkönige 02 - Wunschkrieg

Sturmkönige 02 - Wunschkrieg

Titel: Sturmkönige 02 - Wunschkrieg
Autoren: Kai Meyer
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nicht mehr sehen«, stöhnte Maryam. Er war froh, dass sie überhaupt etwas sagte, aber es irritierte ihn, dass sie in ihrer Lage nur an den verdammten Jungen dachte.
    »Wo werden sie ihn hinbringen?«
    »Werden ihn… mitnehmen.«
    »Nach Bagdad?«
    »Alle Dschinne gehen dorthin…«
    »Warum töten sie ihn nicht?«
    »Als Gefangener… zu wertvoll.«
    Aber tatsächlich interessierte ihn Jibril im Augenblick am allerwenigsten. Er wusste nicht, was geschehen würde, wenn er nicht bald Hilfe für Maryam fand. Zugleich war ihm klar, wie schlecht ihre Chancen standen.
    Hier draußen gab es nichts. Nur Stein und Himmel und endlose Weite.
    »Du hast recht gehabt«, sagte sie. »Wir hätten auf dich… hören sollen.«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Heerführer. Ich verstehe nichts von Strategien und Schlachten und…« Er brach ab, als die Trauer um die anderen so unvermittelt über ihn hereinbrach, dass sogar der Teppich es spürte und unter ihnen erzitterte. Junis’ Stimme klang trocken wie rieselnder Sand. »Das alles hätte nicht geschehen dürfen.«
    »So vieles… hätte nicht geschehen dürfen«, brachte sie mühsam hervor. »Nur gestern«, flüsterte sie, und er war nicht sicher, ob er die Worte wirklich hörte oder nur hören wollte.
    Er legte eine Hand auf ihre, umfasste sie ganz fest.
    Sie lag hinter ihm auf der Seite, zog die Knie an und schmiegte sich an seinen Rücken. Sie summte etwas, ein Kinderlied aus Samarkand. Der Wind wehte es wie eine Saat der Melancholie über die toten Berge, hinab in die Täler, um schroffe Gipfel und Felsentürme.
    Er hielt noch immer Maryams Hand, als die Melodie leise ausklang.
    »Gestern war richtig«, flüsterte sie.

 
Die Expedition
 
 
    Südlich des letzten grünen Halms, westlich des letzten reinen Wassers, östlich der allerletzten Hoffnung – dort liegt das verlorene Skarabapur.
    Khalis’ Worte hallten in Tarik nach, als er den Irrgarten des Diebesviertels durchquerte. Es war einer dieser unheilschwangeren Sätze, wie er sie von dem Hofmagier erwartet hatte. Und doch wäre es leichtfertig gewesen, ihn nicht ernstzunehmen. Nicht nach allem, was ihm in den vergangenen Stunden zu Ohren gekommen war.
    Die Betriebsamkeit des Diebesviertels drang kaum bis zu ihm durch. Zu viel anderes ging ihm durch den Kopf. Nur beiläufig nahm er die wechselnden Gerüche wahr, die aus den offenen Türen und Fenstern drangen, die Duftwasser und Kloaken und schweißgetränkten Laken. Dumpf hörte er die lockenden Stimmen der Dirnen, das Geschrei von Kinderbanden auf der Flucht, die immer gleichen Prophezeiungen der Kriegsveteranen an den Straßenecken, das Rufen und Feilschen und Jammern der Händler. Kaum etwas ließ darauf schließen, dass der Angriff der Dschinne unmittelbar bevorstand. Keiner von denen, die noch hier waren, hatte sich den Flüchtlingstrecks nach Norden anschließen wollen, als noch die Möglichkeit dazu bestanden hatte; und nun, da die Stadtgrenze abgeriegelt, selbst der Himmel über Bagdad blockiert war, taten sie so, als ginge das Leben einfach weiter. Solange es eben weiterging.
    Tarik erreichte ein niedriges Tor. Es klaffte schief und mit gekerbten Rändern in einer Lehmwand. Ein letztes Mal blickte er über die Schulter. Er war sicher, dass er verfolgt wurde – Khalis hatte zu vehement auf einer Eskorte beharrt, um Tariks Wunsch nach Alleinsein zu respektieren –, aber die Männer blieben ihm vom Hals und bewiesen Talent, mit der Masse zu verschmelzen. Solange sie ihm nicht durch dieses Tor folgten, waren sie ihm gleichgültig.
    Er betrat den engen Innenhof mit seinen rußgeschwärzten Fassaden und leeren Fenstern. Schutt bedeckte den Boden. Irgendwann hatte ein Feuer die Häuser und Hütten verwüstet. Seither hatte sich niemand die Mühe gemacht, die Gebäude wieder herzurichten.
    Der alte Turm, Teil der versunkenen Tempelanlage, ragte nur ein Stockwerk hoch aus dem Boden. Aus dem einzigen Fenster, kurz unterhalb der Mauerkante, blickten ihm mit blinden Augen die beiden steinernen Pfauen entgegen. Die Öffnung dahinter war in Halbschatten getaucht, ein Raster aus Hell und Dunkel, das die Überreste des eingestürzten Turmdachs auf die gegenüberliegende Innenwand projizierte.
    Tarik war wachsam, aber nicht zögerlich. Er bezweifelte, dass ihn die Diebinnen ohne Warnung mit einem Pfeil oder Messerwurf töten würden. Schon gar nicht Ifranji, die sich nicht die Chance entgehen lassen würde, ihn vor seinem Tod mit Beschimpfungen, Verwünschungen und
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