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Sturm der Barbaren

Titel: Sturm der Barbaren
Autoren: L. E. Modesitt
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zugleich Zerbrechlichkeit in ihrem Griff.
    »Sie muss reizend sein, sonst hätte Jerial ihr Missfallen schon längst geäußert.«
    »Das ist sie … aber dieser Reiz geht weit über Schönheit hinaus.«
    »Da bin ich sicher, Lorn. Du hast dich niemals nur auf Äußerlichkeiten verlassen.« Daraufhin begibt sich Nyryah über den Säulengang hinunter in ihre Gemächer.
    Die Wolken im Südwesten sinken tiefer herab und der Wind ist feucht, was für später wohl Regen bedeutet – und Kopfschmerzen für Lorn, die aber inzwischen so zur Gewohnheit geworden sind, dass er sie einfach nicht mehr beachtet.
    Nachdem er seine Mutter hinunterbegleitet hat, kehrt Lorn in seine eigenen Räume zurück, wo er eine Zeit lang nachdenkt … aber schon bald kreisen seine Gedanken allein um ihn selbst. Schließlich nimmt er das kleine silberne Buch zur Hand und schlägt eine Seite auf; leise liest er daraus vor.
     
    Reife
     
    Wie eine Dämmerung ohne Wolken,
    ein Blatt ohne Baum,
    eine Muschel ohne Meer …
    wächst die Birne heran und fällt.
    Kluger Baum,
    du weißt, wie … wo …
    Ach könnten wir deinem Beispiel folgen,
    Blatt für Blatt,
    jede Sekunde des Jahres,
    um die sonnigen Tage festzuhalten,
    um die Früchte unseres Tuns zu erwarten
    … die Früchte unseres Tuns zu erwarten.
     
    Lorn runzelt die Stirn. Birnen sind selten in Cyad und wieder beinhalten die Worte mehr als nur die eckigen Buchstaben.
    Er lächelt. Es gibt keine andere Möglichkeit, er kann nichts tun als zusehen, wie die Früchte heranreifen in den Jahreszeiten und Jahren, die vor ihm liegen. Um die Zeit bis dahin totzuschlagen, setzt er sich auf die Bettkante und liest in dem außergewöhnlichen alten Buch.
    Als sich der Nachmittag dem Ende zuneigt, streift er die blauen Buchhalterkleider und den Umhang wieder über und steigt die Hintertreppe hinab in den Garten, um zum hinteren Gartentor zu gelangen.
    »… wer dir bei dieser Gestaltung helfen kann«, murmelt Lorn leise, während er auf dem Gehweg der Straße des Fortwährenden Lichts Richtung Osten wandert. Der Regen will einfach nicht aufhören, der Wind zerzaust sein Haar und zerrt an dem grauen Umhang, der die buchhalterblauen Kleider verbirgt. »… niemanden, der den Weg kennt, den du eingeschlagen hast.« Diese Worte könnten bedeuten, dass niemand seine Ziele kennt, was er inständig hofft, doch die weniger offensichtliche Bedeutung ist die, die seine Mutter damit ausdrücken wollte.
    Lorn hofft, dass Ryalth schon zu Hause ist, und die Erleichterung ist groß, als sie ihm die Tür öffnet. Ihre Augen wirken tiefgründig und gleichzeitig undurchdringlich, während sie ihn ansieht. Sie sagt kein Wort, bedeutet ihm aber einzutreten. Lorn geht hinein und um den Wandschirm herum; dabei versucht er den freundlichen Ausdruck auf dem Gesicht beizubehalten.
    Ryalth schließt sachte, aber bestimmt die Tür und blickt Lorn anschließend in die Augen. »Man hat gestern Abend Shevelts Leiche gefunden … mit einem Dyjani-Dolch im Rücken. Es war heute das Tagesgespräch auf dem Händlerplatz.« Ryalth sieht Lorn eindringlich an.
    »Man sagt, er hätte die Dyjani verärgert …«, äußert Lorn vorsichtig.
    »Die Plakette?«
    »Sie ist in Sicherheit. Willst du sie zurück?«
    »Nein.« Ihre Augen befinden sich beinahe auf gleicher Höhe und so sehen sich Ryalth und Lorn an. »Du weißt, dass Tasjan böses Blut verleugnet. In der Öffentlichkeit jedenfalls. Vermutlich muss er das. Er ist das Oberhaupt des Dyjani-Klans. Shevelts Vater, Fuyol, hat angedroht, alle Erben Tasjans zu töten.« Ryalth schüttelt den Kopf. »Fuyol ist genauso hitzköpfig wie sein Sohn. Damit er zu schreien aufhörte, mussten vier Oberhäupter von anderen Häusern beschwichtigend auf ihn einreden. Sie alle warnten ihn, dass derartige Drohungen unklug wären, und es geht das Gerücht, dass einer der Männer Fuyol im Vertrauen davon unterrichtete, dass nicht wenige Händler insgeheim über Shevelts Tod jubeln. Sie alle haben ihm einstimmig vorgeschlagen, Veljan zum Erben zu ernennen. Veljan ist viel vernünftiger.« Die rothaarige Händlerin blickt Lorn an. »Er ist auch gefährlicher, aber das liegt daran, dass seine Gemahlin ausgesprochen klug ist. Sie ist die mittlere Tochter von Liataphi.«
    »Dem Dritten Magier?« Lorn zieht die Augenbrauen nach oben.
    »Liataphi hat vier Töchter und keine Söhne. Eine Tochter ist schon vor einigen Jahren gestorben. Syreal war viel zu jung, als sie drohte, sie würde weglaufen, wenn sie Veljan nicht
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