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Stürmische Begegnung

Stürmische Begegnung

Titel: Stürmische Begegnung
Autoren: Rosamunde Pilcher
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hatte den Arm schützend über die Augen gelegt, als könnte er das Licht nicht ertragen. Als ich seinen Namen sagte, hob er ein wenig den Kopf, um zu sehen, wer da war. Dann ließ er sich wieder auf das Kissen fallen.
    „Großer Gott“, sagte er. „Rebecca.“
    Ich trat zu ihm. „Ja, ich bin’s.“
    „Ich habe deine Stimme gehört. Aber ich dachte, es ist ein Traum.“
    „Ich hab von unten gerufen, aber du hast nicht geantwortet.“
    Sein Gesicht sah furchtbar aus, die ganze linke Seite war ge schwollen und zerschrammt, das Auge war halb geschlossen. Eine Lippe war aufgeplatzt, Blut klebte daran. Auf den Knö cheln seiner rechten Hand schien keine Haut mehr zu sein.
    „Was machst du hier?“ Er sprach dumpf, vielleicht wegen der aufgeplatzten Lippe.
    „Mrs. Kernow hat mich angerufen.“
    „Ich habe sie gebeten, niemandem etwas zu sagen.“
    „Sie hat sich Sorgen um dich gemacht. Joss, was ist passiert?“
    „Ich bin unter die Räuber gefallen.“
    „Bist du noch woanders verletzt?“
    „Ja, überall.“
    „Laß sehen…“
    „Die Kernows haben mich verbunden.“
    Aber ich beugte mich zu ihm hinunter, zog behutsam die Decke weg. Joss trug einen Verband, der aus Streifen von einem Bettlaken zu bestehen schien. Eine große bläuliche Schwellung hatte sich bis zur Brust ausgebreitet, und auf der rechten Seite drang rotes Blut durch den weißen Stoff.
    „Joss, wer hat das getan?“
    Er antwortete nicht. Statt dessen streckte er den Arm aus und zog mich mit einer Kraft, die in Anbetracht seiner Verletzungen verblüffend war, auf das Bett hinunter. Ich saß da, mein langer blonder Zopf hing über die Schulter nach vorn, und während er mich mit dem rechten Arm festhielt, zog er mit der linken Hand das Gummiband herunter, das den Zopf zusammenhielt, und fuhr mit den Fingern wie mit einem Kamm durch die Haare, die nun seine nackte Brust streiften.
    „Das habe ich die ganze Zeit tun wollen“, sagte er. „Seit ich dich das erste Mal gesehen habe und dachte, du siehst aus wie die Schülerin von… Was habe ich gesagt?“
    „Wie die Musterschülerin eines Mädchenpensionats.“
    „Ja. Sonderbar, daß du es behalten hast.“
    „Was kann ich tun? Ich muß dir doch irgendwie helfen kön nen?“
    „Bleib einfach. Bleib einfach hier bei mir, mein Liebling.“
    Die Zärtlichkeit in seiner Stimme… Joss, der immer so abgebrüht gewesen war… Es warf mich einfach um. Mir stiegen Trä nen in die Augen, er sah es und zog mich zu sich hinunter, und ich lag bei ihm und spürte, wie seine Hand unter meinem Haar nach oben glitt und sich um meinen Nacken legte.
    „Joss, ich tu dir weh… “
    „Nicht reden“, sagte er, ehe sein suchender Mund meinen fand. Und dann: „Und das habe ich auch schon die ganze Zeit tun wollen.“
    Es war ganz offensichtlich, daß all seine Verletzungen, die blutenden Schrammen, die Male, die aufgeplatzte Lippe, ihn nicht davon abhalten würden.
    Und ich, die ich immer gedacht hatte, Liebe habe etwas mit Feuerwerk und einer Explosion von Gefühlen zu tun, ich stellte fest, daß es gar nicht so war. Es war warm, wie unvermittelter Sonnenschein. Es hatte nichts zu tun mit meiner Mutter und der endlosen Prozession von Männern, die durch ihr Leben gegangen waren. Zynismus und vorgefaßte Meinungen flogen im Nu aus einem weitgeöffneten Fenster. Meine letzten Schutzwälle brachen in sich zusammen. Joss war da.
    Er sagte meinen Namen, und aus seinem Mund klang er wunderbar.
     
    Später, viel später machte ich Feuer, schichtete Treibholzstücke auf das flammende Zeitungspapier, bis sie knisterten und ihre Wärme im Zimmer verbreiteten. Ich ließ nicht zu, daß Joss mir half; er lag mit aufgestütztem Kopf da, und ich spürte, wie er alle meine Bewegungen mit den Augen verfolgte.
    Ich richtete mich auf und trat vom Kamin zurück. Die Haare fielen mir lose über die Schultern, und meine Wangen waren von den Flammen ganz heiß. Eine unendliche Zufriedenheit breitete sich in mir aus.
    „Wir müssen reden, nicht wahr?“ sagte er. „Ja.“
    „Würdest du mir etwas zu trinken holen?“
    „Was möchtest du?“
    „Einen Whisky. Er ist in der Kochnische, im Wandschrank über der Spüle.“
    Ich nahm die Flasche und zwei Gläser heraus. „Soda oder Wasser?“
    „Soda. Da ist irgendwo ein Flaschenöffner, er hängt an einem Haken.“
    Ich fand ihn und öffnete die Flasche. Ich stellte mich so ungeschickt an, daß der Kronenkorken hinunterfiel und, wie solche Gegenstände es zu tun pflegen, in
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