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Stromschnellen: Roman (German Edition)

Stromschnellen: Roman (German Edition)

Titel: Stromschnellen: Roman (German Edition)
Autoren: Bonnie Jo Campbell
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Jahren genau von diesem Hochsitz aus geschossen, hatte auf rennende Eichhörnchen gefeuert und sie verfehlt, aber Cal war ein unbewegliches Ziel. Sie senkte die Gewehrmündung und zielte auf seine Hand, die noch immer locker das Glied umschloss, aus dem ein mickriger Strahl kam. Dann zielte sie knapp neben seinen Daumen. Cal hatte ihr beigebracht, Blechdosen, Garnspulen und Holzäpfel von Zaunpfosten zu schießen, und sie hatte eine so sichere Hand, dass sie ihm die Schwanzspitze wegschießen konnte, ohne ihn anderswo zu treffen. Da ließ er sein Glied los, nahm das Bier vom Fensterbrett und trank einen Schluck, und Margo hatte freie Schussbahn.
    Dem Knall ihres Gewehrs folgte ein lautloser Spritzer Murray-Blut auf die weiße Schuppenwand. Margo hielt den Arm beim Abdrücken ganz ruhig, sie blinzelte nicht einmal. In der Grube klirrte ein letztes Hufeisen. Cal riss den Mund zu einem Schrei auf, doch er war so hoch, dass ihn wohl nur Jagdhunde hätten hören können. Halt suchend griff Margo mit der freien Hand nach dem Ast über sich, mit der anderen umklammerte sie die Büchse. Sie schloss die Augen, um diesen vollkommenen, schrecklichen Augenblick in die Länge zu ziehen und den nächsten, in dem sich die Luft mit Stimmen füllen würde, weit wegzuschieben.

4. KAPITEL
    Sekundenlang schien die Sache erledigt. Sie und Cal waren jetzt quitt, und alle konnten ihr Leben fortsetzen wie vor dem ganzen Ärger. Unter sich erblickte sie ihren Vater, merkte aber nicht, dass Billy mit einem Jagdgewehr in der Hand auf sie zugerannt kam. Crane griff nach oben in den Baum, packte ihre Hand und zerrte sie herunter. Margo stürzte auf ihn. Unbeholfen nahm er ihr die Büchse ab, um ihr beim Aufstehen zu helfen, aber sie hatte sich in ihrer Jacke verheddert. Billy kam näher. Er sah das Gewehr in Cranes Hand. Er sah seinen Vater am Boden liegen, sah das Blut auf der Hose und auf der Schuppenwand. Auch das Gesicht seines Vaters war blutverschmiert. Billy richtete das Gewehr auf Cranes Brust.
    »Nimm das Ding runter, Billy!«, schrie Crane und machte einen Schritt auf ihn zu. »Du überdrehter Spinner!«
    »Du hast meinen Dad erschossen, du Scheißkerl!«
    Cal versuchte, den Reißverschluss seiner Hose hochzuziehen.
    »Nimm sofort die Knarre runter!«, verlangte Crane.
    »Billy, nein …«, wollte Margo rufen, aber ihr versagte die Stimme. Vermutlich merkte Crane gar nicht, dass der Lauf der Remington in seiner Hand auf Billy zeigte, während er auf ihn zuging. Billy ließ Crane nicht aus den Augen, und deshalb sah er nicht, dass Cal sich aufraffte und wild mit den Armen fuchtelte.
    »Nimm die verdammte Knarre runter«, befahl Crane, »bevor was passiert.«
    Erst als Billy abdrückte, fand Margo ihre Stimme wieder. Sie klang wie Hundejaulen. Crane taumelte rückwärts. Billy grinste Margo an, als wollte er sagen, dass sie nicht die Einzige war, die ins Schwarze traf, aber das Grinsen verging ihm sofort wieder.
    Crane schlug hart auf den Rücken. Margo kauerte sich neben ihn. Er roch nach Metall, als wäre das Blut, das aus seiner Brust quoll, flüssiges Eisen, als hätte er zu viele Jahre in der Metallfabrik gearbeitet, um noch aus Fleisch und Blut zu sein. Grandpa Murray war langsam gestorben, er war ganz allmählich dahingegangen, sodass Margo Zeit gehabt hatte, sich ein Leben ohne ihn auszumalen, aber Crane, der die Augen weit aufgerissen hatte, als der Schuss knallte, war offenbar auf der Stelle tot. Cal ließ sich auf die Knie fallen. Mit gepresster Stimme sagte er zu Billy: »Du dämlicher kleiner Wichser! Was hast du getan?«
    Billy wirkte verdutzt. »Er hat auf deinen Schwanz geschossen, Dad. Und er wollte auf mich schießen.«
    Margo sah Schmerz in Cals Gesicht und dann Angst und Berechnung.
    »Ruft einen Krankenwagen«, sagte er tonlos. Er beugte sich ruckartig vor und riss Billy das Gewehr aus der Hand. »Lauft und holt Joanna. Sagt ihr, ein Mann ist erschossen worden. Verfluchte Scheiße! Schnell!«
    Auf Cals Befehl rannten zwei Murray-Jungs und zwei Slocums los, die sich in der Nähe herumgedrückt hatten.
    Cranes Brust war zerfetzt, der Stoff seines türkisblauen Arbeitskittels blutdurchtränkt. Joanna kam zu ihrem Mann und legte den Arm um ihn.
    »Du hast überall Blut«, sagte sie außer Atem. Sie berührte den Schritt seiner Hose.
    »Ich bin okay«, sagte Cal leise, »aber Billy hat Crane erschossen. Der dämliche kleine Wichser hat ihn direkt ins Herz getroffen. Ruf einen Krankenwagen.«
    »Hab ich schon«,
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