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Stresstest Deutschland

Stresstest Deutschland

Titel: Stresstest Deutschland
Autoren: Jens Berger
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richtig mitbekommen, dass um sie herum ein Krieg stattfindet und sie selbst drauf und dran ist, diesen Krieg zu verlieren. Wie konnte es überhaupt so weit kommen?
    Das Ende der Weimarer Republik wird von einigen Historikern damit erklärt, dass sie eine »Demokratie ohne Demokraten« gewesensei. Das ist falsch, es gab auch in der Weimarer Republik Demokraten, sie hatten allerdings gegen ein tief verwurzeltes antidemokratisches Denken der Eliten nie eine Chance. Es waren jedoch nicht die Eliten, die Hitler ins Amt wählten, sondern die Bürger. Diese simple Wahrheit hört man heute in Deutschland nicht gern, man sieht sich lieber als Opfer denn als Helfer oder gar Täter. Diese Opferrolle sitzt tief in der deutschen Seele. Selbst unter den kritischen Zeitgenossen gibt es viele, die sich auch heute als Opfer von »denen da oben« sehen. In einer Diktatur mag diese Schuldzuschreibung legitim sein. Wir leben aber heute nicht in einer Diktatur. Jeder Bürger kann offen seine Meinung sagen und mit Plakaten auf die Straße gehen und seinen Unmut kundtun. Auch für Intellektuelle gibt es heute nicht die geringste Rechtfertigung, in die innere Emigration zu gehen, wie es viele während des Dritten Reichs machten. Wer es nicht besser wissen kann und den Mund hält, mag ein Opfer sein. Wer es besser wissen könnte und lieber freiwillig im Strom mitschwimmt, ist schon kein Opfer mehr. Und wer es besser weiß und dennoch den Mund hält, ist kein Demokrat. Überspitzt könnte man sagen, dass auch die Berliner Republik eine Republik ohne echte Demokraten ist – und damit sind nicht die Politiker, sondern die Bürger gemeint.
    Der Stresstest hat gezeigt, dass wir es in einem hohen Maß mit einem Versagen der Institutionen und mit einem Versagen der selbsternannten Eliten zu tun haben. Der Fisch stinkt vom Kopf her. Man würde es sich jedoch viel zu einfach machen, wenn man die Defizite unserer Gesellschaft ausschließlich mit der geistigen Erosion ihrer Eliten erklären würde. In einer politisch interessierten, aktiven und engagierten Gesellschaft wäre es gar nicht möglich, dass die Eliten die Bürger am Nasenring durch die Manege ziehen. So eine Gesellschaft fällt freilich nicht vom Himmel, sie wird einem nicht geschenkt, sie muss mühsam erarbeitet werden. Wir müssen es erst wieder lernen, Demokraten zu werden und die Politik aktiv mitzugestalten.
    Sie sind unzufrieden mit den großen Parteien? Wählen Sie eine kleine Partei, mit der Sie eine größtmögliche Schnittmengehaben! Auch die Linken und die Piraten haben interessante Programme.
    Sie ärgern sich über den Kurs der SPD ? Bombardieren Sie den Abgeordneten Ihres Wahlkreises doch mit Anrufen, Faxen und Briefen, und sagen Sie Ihren Freunden, dass sie es Ihnen gleich tun sollen! Oder treten Sie doch in die Partei ein und kämpfen aktiv für eine Kurskorrektur!
    Sie ärgern sich darüber, dass in den Talk-Shows immer nur die gleichen Lobbyisten sitzen? Rufen Sie den Sender an, und schreiben Sie einen erbosten Brief an den Intendanten!
    Sie würden anspruchsvolle Dokumentationen lieber zur Hauptsendezeit sehen und mögen keine lustigen Musikanten? Beschweren Sie sich, lassen Sie Ihrem Ärger freien Lauf!
    Sie sind mit der neoliberalen unkritischen Berichterstattung Ihrer Zeitung unzufrieden? Schreiben Sie Leserbriefe, kündigen Sie das Abo, und suchen Sie Alternativen im Internet! Nur diese Sprache wird von den Verlegern auch verstanden.
    Stößt Ihnen das Verhalten gewisser Konzerne sauer auf? Kaufen Sie nicht mehr deren Produkte, machen Sie auch andere Menschen darauf aufmerksam!
    Sie stört die groteske finanzielle Schieflage der Interessenvertretungen? Werden Sie Mitglied bei einer Gruppe, die Ihre Interessen vertritt!
    Spenden Sie! Lassen Sie sich nicht alles gefallen, engagieren Sie sich, beschweren Sie sich, seien Sie unbequem, empören Sie sich! Sie sind nicht allein. Je mehr Menschen sich erheben, desto mehr Menschen werden mitmachen. Schauen Sie nicht weg, schweigen Sie nicht. Sie müssen dafür kein Held sein, auch kleine Dinge können große Wirkung haben. Änderungen geschehen nicht von selbst, sie müssen aktiv erarbeitet werden. Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche!

Literatur
    Weitergehende Informationen zu den im Buch behandelten Themen finden Sie in folgenden empfehlenswerten Büchern:
    Adamek, Sascha, Kim Otto, Der gekaufte Staat: Wie Konzernvertreter in deutschen Ministerien sich ihre Gesetze selbst schreiben, Köln 2009
    Arbeitsgruppe
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