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Stresstest Deutschland

Stresstest Deutschland

Titel: Stresstest Deutschland
Autoren: Jens Berger
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Zeitung El Pais im April 2011 sehr treffend als »finanzpolitischer Taliban« bezeichnet wurde 22 –, nach dem die EZB sich aus dem Markt für Staatsanleihen komplett herauszuhalten habe, ist ohnehin längst von der Realität überholt. Die EZB mischt jedoch nicht nur auf dem Sekundärmarkt mit, sie nimmt auch auf dem Primärmarkt eine – wenn auch indirekte – Schlüsselfunktion ein, indem sie den Banken das billige Geld ohne Auflagen leiht, mit dem diese die Staatsanleihen kaufen. Wenn die EZB nun aber den Banken das Geld für deren Anleihenkäufe vollständig leiht, ist die EZB bei genauer Betrachtung schon heute der eigentliche Kreditgeber für die Eurostaaten.
    Der einzige Unterschied zwischen einer kompletten EZB -Finanzierung und der momentanen Staatsfinanzierung über die Finanzmärkte ist die Frage der Haftung. Wären die privaten Banken nicht in einem derart erbärmlichen Zustand, so dass die Staaten ohnehin wegen deren angeblicher Systemrelevanz auch für die von ihnen gehaltenen Staatsanleihen haften würden, könnte man an dieser Stelle durchaus einen ideologischen Disput führen. In einer Situation, in der die EZB das Geld für die Anleihen an die Banken verleiht und die Staaten deren Risiko absichern, ist eine solche Diskussion jedoch nicht zielführend. Die Verteidiger der freien Märkte verkennen schlichtweg, dass der Staat sich schon heute selbst finanziert. Warum sollte er überhaupt den Finanzsektor daran teilhaben lassen? Warum sollte er sich überdies auch noch von diesem erpressen lassen?
    Mittel- bis langfristig ist die Staatsfinanzierung über die EZB die einzige Option, die den Interessen der Allgemeinheit einen höheren Stellenwert einräumt als den Interessen der Banken. Die EZB ist ein politisches Instrument, und somit lassen sich die Zinsen für Staatsanleihen, die von der EZB am Primärmarkt gekauft werden, auch politisch festlegen. Die direkte Staatsfinanzierung über die EZB hat jedoch auch einen – auf den ersten Blick kurios erscheinenden – Nachteil. Staatsanleihen gelten zu Recht als mündelsicher, und verschiedene Finanzdienstleister wie beispielsweise Lebensversicherungen sind qua Gesetz verpflichtet, einen großen Teil ihrer Kundengelder in Staatsanleihen aus dem eigenen Währungsraum zu investieren. Wenn man dem Markt Papiere im Wert von mehreren Billionen Euro entziehen würde, hätte dies auch massive Auswirkungen auf die Finanzmärkte. Eine tragfähige Lösung müsste Anlegern also die Möglichkeit geben, weiterhin über Anleihen risikoarme Kredite zu vergeben. Dies wäre jedoch auch über das EZB -Modell möglich. Auch Banken können bei der EZB Geld »parken« – dafür bekommen sie von der EZB den Einlagesatz von derzeit 0,25 Prozent. Es wäre also keinesfalls ausgeschlossen, dass auch Lebensversicherungen und andere Finanzdienstleister Geld bei der EZB »parken«, indem sie spezielle Anleihen kaufen.
    Ein tragfähiges Modell, um die Eurokrise zu beenden, könnte folgendermaßen aussehen: Die EZB kauft den Eurostaaten ihre Anleihen mit einem vorher festgelegten pauschalen Zins ab, der je nach Laufzeit und Höhe der Neuverschuldung variiert. Sollte ein Staat das EZB -Modell ausnutzen, um beispielsweise mit dem geliehenen Geld Wahlgeschenke zu finanzieren, würde über gestaffelte Zinskonditionen ein »künstlicher Markteffekt« simuliert. Wer unbedingt mehr als drei Prozent (gemessen am BIP ) Neuverschuldung aufnehmen will, müsste dann beispielsweise nicht 2,5 Prozent, sondern fünf Prozent Zinsen für die Papiere bezahlen, die oberhalb des Grenzwerts liegen. Die EZB haftet für die Rückzahlung der Schulden und gibt EZB -Bonds in Höhe der von ihr vergebenen Staatskredite aus, die zu einem niedrigeren Zinssatz von den Finanzmärkten erworben werden können, dies aber nicht müssen. Wenn eine Lebensversicherung in sichere Anleihen im eigenen Währungsraum investieren muss, könnte sie diese Papiere erwerben.
    Die EZB würde bei diesem Modell einen deutlichen Gewinn machen, der je nach Inanspruchnahme der EZB -Bonds und Höhe der Zinsen durchaus in einer dreistelligen Milliardengröße liegen dürfte – Geld, mit dem man Konjunkturprogramme für die Europeripherie finanzieren könnte, um die strukturellen Ungleichgewichte auszugleichen. Egal welche finanzpolitische Lösung man aus der Eurokrise findet, die realwirtschaftlichen Probleme blieben davon zunächst einmal unberührt und sind ein weiteres Kapitel auf der langen Aufgabenliste für ein gemeinsames
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