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Stresstest Deutschland

Stresstest Deutschland

Titel: Stresstest Deutschland
Autoren: Jens Berger
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besitzen, um die Demokratie zu verteidigen. Doch die Medien, deren genuine Aufgabe es wäre, das wichtigste Korrektiv zu sein, haben heute eine zu große Nähe zur Macht. Diese Entwicklung ist doppelt tragisch, da den Medien auch bei der öffentlichen Meinungsbildung eine ganz zentrale Rolle zukommt. Der Bürger ahnt, dass hier etwas ganz gewaltig schiefläuft, ist jedoch mit seinen Zweifeln auf sich selbst gestellt. Vielleicht hat er es auch ganz einfach verlernt, sich aktiv zu informieren, um sich seine eigene Meinung zu bilden. Es gibt sie, die kritischen Kommentare in den Zeitungen – ganz weit hinten, im Feuilleton, oft in einer Sprache geschrieben, die selbst von Akademikern nicht so ohne weiteres verstanden wird. Es gibt auch noch wertvolle Dokumentationenim Fernsehen und geistreiche Interviews im Radio. Man muss sie jedoch mit der Lupe suchen, und da der Konsument angeblich mit anspruchslosem Klamauk zufrieden ist, werden sie auf Sendeplätze und Spartenkanäle verschoben, die es selbst dem Interessierten sehr schwer machen, sie überhaupt zu finden. Welcher berufstätige Bürger mag um Mitternacht eine anspruchsvolle Dokumentation über die Hintergründe der Finanzkrise anschauen? Zur Hauptsendezeit lässt man lieber lustige Musikanten auf die Gebührenzahler los. Hat das öffentlich-rechtliche Fernsehen nicht einen Bildungsauftrag?
    Der durchschnittliche deutsche Medienkonsument ist bequem, er konsumiert passiv. Doch wer sein Medienverhalten ändert und aktiv auf Informationssuche geht, wird oft auch fündig. Das Internet mit all seinen Blogs, sozialen Medien und Foren ist der letzte Dorn im Fleisch der kollektiven Massenverblödung. Im Netz hat sich eine kritische Informationselite gebildet, die – nicht nur politisch – schon beinahe überinformiert ist. Das ist zwar durchaus löblich, birgt jedoch die Gefahr in sich, sich selbst in einem Expertenzirkel abzuschotten. So gibt es beispielsweise ganz wunderbare, kritische Weblogs von Ökonomen, die den ökonomischen Mainstream, der in den Massenmedien vorgebetet wird, bis ins letzte Detail widerlegen. Diese Blogger schreiben jedoch analog zu den Schöngeistern des Feuilletons nicht für Otto Normalverbraucher, sondern für sich selbst und die kleine Gruppe von vermeintlichen oder echten Experten, die diese Artikel versteht oder dies zumindest glaubt. Der Einfluss, den diese anspruchsvollen Blogs auf den öffentlichen Diskurs haben, geht gegen null. Um die Öffentlichkeit zu erreichen und etwas zu bewegen, müssen auch die Akteure der Netzmedien sich öffnen, Fachchinesisch vermeiden und sich allgemeinverständlich ausdrücken. Ob dies gelingt? Man darf skeptisch sein.
    Dennoch erfüllt das Netz eine sehr wichtige Funktion jenseits der faktenbasierten Information und jenseits der kritischen Kommentierung des Zeitgeschehens. Das Netz verbindet, es zeigt den Unzufriedenen, dass sie nicht allein sind. Viele Leser lieben Blogsweniger wegen der dort veröffentlichten Artikel, sondern vor allem wegen der Möglichkeit, sich im Kommentarbereich mit anderen kritischen Stimmen auseinanderzusetzen. Der virtuelle Stammtisch ist längst Realität. Doch das Netz ist immer noch eine Parallelwelt, die kaum Schnittstellen zur echten Welt hat. Wenn nur zehn Prozent der Unzufriedenheit, die tagtäglich in Blogs und Foren artikuliert wird, ihren Weg auf die Straße finden würden, gäbe es eine sehr reale Chance, etwas an den Verhältnissen zu ändern.
    Davon sind wir jedoch immer noch sehr weit entfernt. Wäre man zynisch, könnte man sogar sagen, dass es den Protagonisten des Systems sehr gelegen kommt, dass sich die Unzufriedenheit auf die virtuellen Welten des Internets beschränkt. Solange die Unzufriedenen sich gegenseitig in Blogs und Foren austoben, die keine Schnittstelle zur realen Welt haben, richten sie wenigstens keinen Schaden an. Insofern erfüllt das Netz in gewisser Weise auch die Funktion, Demokratie und Partizipation zu simulieren. Die Außenwelt interessiert sich jedoch nicht für den Klickaktivismus der Netzbewohner – mehr noch: Sie nimmt ihn gar nicht wahr.
    Empört euch! Werdet aktiv!
    »Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen« 3 – so lautet die verstörend offene Warnung des drittreichsten Mannes der Welt. Warren Buffett hat zweifelsohne recht, der Klassenkrieg ist in vollem Gang, er wird jedoch nur von einer Partei geführt. Die Verliererseite hat noch nicht einmal
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