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Straub, Peter

Straub, Peter

Titel: Straub, Peter
Autoren: Die fremde Frau
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Tür zu mir herumdreht. Mit ihrem G e sicht sagt sie: Las dir etwas einfallen, komm; aber ich bin wie angewachsen, ich bin egoistisch, ich klebe an meinem Stuhl, ich kann nicht.

ZWEI

1
     
    Rundfahrten: der Boulevard Jean Jaures, eine breite Durc h fahrtsstraße, die den Verkehr entlang ihrer von Bäumen g e säumten Bahn von Norden nach centre ville führt, im August ein fauchender, bunter Drachen, und weiter zu den Straßen nach Süden, zum Mittelmeer.
    Der Boulevard umspült eine, wird geteilt von einer, Insel mit Cafetischen unter Bäumen. In diesem Monat, dem trock e nen französischen August, sind die Tische von zehn bis fünf belegt, und dann wieder von sechs Uhr dreißig bis nach zehn von Franzosen im Urlaub und gelegentlichen amerikanischen Touristen, die wegen ihres Pernod oder mont a ’ leau zetern. Die Frau, die ein schlichtes, eng anliegendes Kleid aus einem satinähnlichen Material trägt, das mit ihrem Haar und der so n nengebräunten Haut harmoniert, sitzt mir, in undeutbarer Stimmung, am Tisch gegenüber. Eine riesige Sonnenbrille maskiert die Hälfte ihres Gesichts.
    »Ich kann deinen Widerwillen «, sagt sie, »mich einfach so zu akzeptieren, nicht verstehen – wie du das Wetter oder ein Geschenk akzeptieren würdest. Manchmal fühle ich mich de i netwegen wie ein schrecklicher Versager, als würde etwas mit mir oder der Art und Weise, wie ich dich sehe, überhaupt nicht stimmen. Ich dachte, ich könnte dich dazu bringen – dazu bringen –, aus deinem Puritanismus herauszuwachsen. (Natü r lich liebe ich auch das an dir.) Doch so reizend du auch bist, du befindest dich außerhalb meiner Reichweite. «
    »Du meinst, Puritanismus genügt kaum, es zu erklären «, s a ge ich.
    »Nun – hör mir zu. Schau dich um, sieh all die anderen: sie sind, wie unsere Leben in Wirklichkeit sind, ausgenommen für uns, nicht? Du gibst mir das Gefühl, dass nichts davon zählt, dass die Welt sauberer und neuer ist, wenn ich bei dir bin. Ich kann nicht über das hinweggehen, was wir durchgemacht h a ben, einfach um hier zu sein! Wir waren auch einmal wie diese anderen. «
    › Diese anderen ‹ sind die sichtbare Erinnerung an die Ve r gangenheit, die wir, jeder für sich, gemeinsam haben. Tisch für Tisch respektierliche Paare in leichter Sommerkleidung. Einen Augenblick fürchte ich, ich könnte anfangen, die r e spektierlichen zu hassen. An einem Tisch, nur wenig entfernt, trinkt eine englische Mutter Kaffee, während ihr kleiner Sohn, sieben oder acht Jahre alt, den Kopf auf die Fäuste stemmt.
    »Mami «, sagt er. »Spiel ein Spiel mit mir. Jedes Mal , wenn ich etwas sage, antwortest du: › Und rieb ihre haarige Banane. ‹ Einverstanden? «
    »Liebes, ich weiß nicht …«
    »Ich ging in den Laden «, unterbricht er sie zwinkernd, die Hände auf den Tischplatten: dies wird eine gute Geschichte werden.
    »Und rieb ihre haarige Banane. «
    »Ich ging die Treppe hinauf. «
    »Und rieb ihre haarige Banane. «
    »Auf dem Dachboden fand ich die Königin. «
    »Und rieb ihre haarige Banane. Oh, Liebling, von wem hast du denn diese Geschichte gelernt? « Der Junge kichert, seine großen blauen Augen sind weit aufgerissen.
    »Von Alex, Mami. Ist sie nicht gut? «
    »Ich werde einmal mit Alex reden müssen. «
    »Es ist eine Frage, einfach die Flügel zu öffnen und davo n zufliegen «, sagt sie zu mir. »Du wärst der hellste Vogel im Schw a rm. « Ein Schmetterling flattert unsicher vo n e inem Baum herab und lässt sich in der Nähe ihrer Hand nieder. Sie winkt, und er erhebt sich wieder in die Luft.
    »Du gibst mir bereits dieses Gefühl. Ich weiß nicht, ob ich mich an einen noch extravaganteren Flug gewöhnen könn te . «
    »Oh, extravagant. Niemand könnte besser sein als du – du würdest überrascht sein, wie gut ich das weiß. « Einen Auge n blick strahlt ihr Gesicht.
    »Es geht nicht darum, wie gut du es weißt, sondern dass du es überhaupt weißt «, sage ich. »Ich glaube, du bist prächtig für mich. Du bist so sicher in vielen Dingen, die die Geistlosen mit Verwunderung erfüllen. «
    Sie lächelt, zieht die Mundwinkel zurück, so dass ihre Li p pen sich spannen. Dieses Lächeln bedeutet, dass es nichts mehr zu sagen gibt, weil ich genau das ausgedrückt habe, was auch sie empfindet. »Warte du nur «, sagt sie. »Wir werden dich schon verwandeln. «
    »Mami, spiel noch eines mit mir. Dieses Mal sagst du: › Und spielte mit seiner Wurst. ‹ Ich ging zum Metzger. «
    »Und spielte mit seiner
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