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Straub, Peter

Straub, Peter

Titel: Straub, Peter
Autoren: Die fremde Frau
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nes Haar, das wie das von Louise Brooks aussah – jemand, von dem du noch nie etwas gehört hast, meine Liebe. Für mich war ihre Stimme reinster Wohlklang. Ich konnte förmlich h ö ren , wie sie Las- Celles Abercrombie und › Now sleeps the crimson petal, now the white ‹ , und › Take, o take those Ups away ‹ rezitierte. Am besten aber waren ihre wohlgeformten Beine in dem anständigen Kleid, das alle englischen Mädchen damals trugen, und ich erinnere mich, dass ihr Gesicht atemb e raubend war – nur kann ich mich nicht mehr daran erinnern. «
    Die Augen meiner Frau blicken auf die Untersetzer unter den runden Tischbeinen.
    »Kommen Sie hierher, um sie wieder zu sehen ? « Ihre Stimme ist beschwingt, pointiert, ahmt die englische Sprec h weise nach. Dieses Mimikry könnte ein Anzeichen ruhigen emotinalen Wetters oder von innerer Anspannung sein – oder von einem Dutzend anderen Schattierungen von Gefühlen. Sie hebt wieder den schmalen Kopf. Im leicht glühenden Mit t sommerlicht, welches durch das Fenster der Halle hereinfällt, öffnet sie den Mund: ein Lächeln, eine Belohnung.
    »Ich habe sie gesehen. Das genügte. « Sein Humor entgeht uns völlig.
     
    Wir verlassen die Hotelhalle und gehen auf die Southampton Row hinaus. Autos rasen im Licht an uns vorbei. Mr. Franci s cus beharrt trotz seines heftigen Schnaufens darauf, zu Fuß zu gehen; ich lasse das Auto in der Ladezone stehen. In der feuchten, atemlosen Atmosphäre des sommerlichen Spä t nachmittags in London sieht Mr. Franciscus wie ein nagelne u er Dollar aus: wenn man über ihn streicht wird er statisch kn i stern. Sein schwarzes Haar hängt mit der Beschaffenheit einer Perücke in die Stirn. Als jemand, der ständig zerknittert h e rumläuft, beneide ich Mr. Franciscus um seine kühle, spröde und ordentliche Aura. Er lädt uns zum Essen ein, in ein R e staurant, das ich empfohlen habe, wenngleich ich niemals dort gegessen habe.
    Wir überqueren die Row, lassen R u ssel Square hinter uns und wenden uns nach links. Das Restaurant, Au Savarin, ist in der N ä he, irgendwo vor uns in der Gegend zwischen der To t tenham Court Road und den grauen Blocks des Britischen M u seums, in der Nachbarschaft von billigen griechischen Lokalen und schäbigen Bürogebäuden, die sich strahlenförmig vom neuen Turm des Postamts erstreckt. Wir gehen darauf zu, von meiner vagen Ahnung von der Lage des Restaurants geleitet. Mr. Franciscus schreitet rasch aus, er hat den Kopf zurückg e worfen und in einer Hand einen Regenschirm, der über das Pflaster klappert. Er macht einen unbehaglichen Eindruck. Ich sehe, wie er sich darauf vorbereitet, die Initiative zu überne h men.
    »Ich glaube, Sie wissen gar nicht, wo dieses Lokal ist, Owen. « Er wirbelt unverzüglich von uns weg und steht fo r dernd vor einem großen, professorenhaften Mann, um sich nach der Richtung zur Charlotte Street zu erkundigen. Mit A n stand und Würde erklärt uns der professorenhafte Mann: wir sind Blocks von unserem Ziel entfernt. »Schämen Sie sich niemals, nach dem Weg zu fragen, Owen. « Der Regenschirm klappert über das Kopfsteinpflaster; wir gehen weiter. Ich h ö re, wie er murmelt: »Die beste Art von Engländer. «
     
    Im Restaurant führt uns der Oberkellner, der einen Abenda n zug trägt, zu einem Tisch. Hinter seinem Rücken gibt meine Frau mir wild Zeichen: Dieses Lokal ist zu teuer für Mr. Fra n ciscus, wir müssen ihn wegbringen. Ich muss etwas sagen, bevor es zu spät ist. Sie deutet auf ihren Mund, auf die Uhr, es wird zu spät sein, es wird zu spät sein … es ist zu spät. Ein anderer Mann im Abendanzug drückt sie nachdrücklich in den Sessel, als wollte er sie zum Sitzen zwingen. Sie sitzt da und sieht mich mit einem Blick an, den ich nur zu gut kenne. Ein Junge füll t u nsere Gläser mit Wasser. Der zweite Kellner, eine wächserne, erkahlende Nachbildung von Anthony Eden, gibt jedem von uns eine Speisekarte und bleibt eisern an unserer Seite stehen.
    In einer Ecke; Worten lauschend, welche von einem BBC-Sprecher gesprochen werden – ich erinnere mich an seine kindliche Aufregung während des Mondscheinspaziergangs –, ihm aufmerksam zugewandt, ist die Frau. Sie scheint etwas zu hören, das sie nur wenig amüsant findet, das ihr zu wenig komplex zu sein scheint, wie eine komische Geschichte, die von einem Kind erzählt wird. Der BBC-Sprecher sieht sie durch seine runde Brille an und grinst albern. Sie nimmt seine Hand von ihrer und hebt ihre eigene behutsam
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