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Straße der Toten

Titel: Straße der Toten
Autoren: Joe R. Lansdale
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Fahrt.
    Das Spinnenwesen sperrte seinen schwarzen, von Borsten gesäumten Schlund auf, und das Boot glitt in sein Maul hinein. Als der Bug mit dem Fährmann in den schwarzen Eingeweiden des Biestes verschwand, verlor der Reverend die roten Pupillen aus den Augen, sah dafür nur noch Schwärze, und diese Schwärze umfing ihn und löschte das Licht hinter ihm aus, und er war eins mit der Hölle ...
    Schweißgebadet erwachte er.
    Ihm war kalt. Schlotternd setzte er sich im Bett auf.
    Blitze erhellten die Nacht. Ihr Leuchten war selbst durch die dicken Vorhänge zu sehen, umso mehr, wenn der Wind die Vorhänge aufblähte und zur Seite wehte. Sie flatterten umher wie Gespenster, die jemand mit dem Schwanz an die Wand genagelt hatte. Regen wurde vom Wind hereingeblasen, bis aufs Bett und die Spitzen seiner Stiefel. Im Schein der Blitze schimmerten die Stiefel wie nasse Schlangenhaut.
    Er rollte sich aus dem Bett, griff nach der Flasche und nahm einen tiefen Schluck Whisky. Was ihm nicht guttat. Keine Wärme breitete sich in seinem Rachen aus, kein sanftes Glühen in seinem Magen. Genauso hätte er lauwarmes Wasser trinken können.
    Er ging zum Fenster, um es zu schließen, streckte aber stattdessen den Kopf hinaus, in den Regen und den Wind, als wolle er den Blitz einladen, vom Himmel herabzufahren und ihm den Schädel zu zerschmettern wie einen Kürbis.
    Der Blitz tat ihm den Gefallen nicht.
    Regenwasser schwemmte ihm die Haare ins Gesicht, vermischte sich mit seinem Schweiß und mit seinen Tränen, triefte von seinen nassen Haaren in sein Hemd, rann ihm ins Genick und über die Brust.
    »Wird mir denn nie verziehen?«, fragte er leise. »Ich habe sie geliebt. Ehrlich und mit ganzem Herzen, wie nur sonst ein Mann eine Frau liebt. Wir waren nicht wie Hengst und Stute irgendwo auf der Weide. Schwester oder nicht, es war Liebe. Hörst du, du alter Schweinehund? Es war Liebe!«
    Plötzlich lachte er über sich selbst. Das hörte sich ja nach Shakespeare an oder wie die schlechten Verse, die er von Captain Jack Crawford gelesen hatte.
    Doch die gute Laune währte nicht lange.
    Er hob sein Gesicht wieder zum Himmel empor und ließ den Regen auf seine Augen prasseln, bis es wehtat. »Um der Liebe Jesu willen, o Herr, vergib mir meine Fleischesschwäche. Stell mich auf die Probe. Lass mich dein Werkzug sein. Alles würde ich tun, um Deine Vergebung zu erlangen.«
    Doch wieder erhielt er keine Antwort.
    Er kehrte zurück zu Bett und Flasche. Der Regen wurde jetzt heftig ins Zimmer geblasen und durchweichte am Bettrand die Laken. Ihm war es gleich.
    Er nippte weiter an seiner Flasche und dachte über sein Leben nach und wie er es geführt hatte. Nichts als eine einzige dreckige Lüge, so schien ihm.
    Es gab keinen Gott. Seine Gebete waren bloße Worte, die er in den Wind sprach und die vom Winde verweht wurden wie Steppenläufer.
    Er rutschte vom Bett und holte seine Bibel aus der Manteltasche. Ein ziemlich zerlesenes Exemplar. Allerdings hatte er die Liebe zu ihr längst verloren. Das Predigen war nur noch sein Brotberuf, sonst nichts. Er musste zugeben, dass dies schon längere Zeit so war.
    Wieder im Bett, streckte er sich so aus, dass sein Rücken sich gegen das Brett am Kopfende lehnte, und hielt in der einen Hand die Flasche, in der anderen die Bibel. Er nahm einen Schluck.
    »Lügen«, schrie er. Mit aller Kraft schmiss er die Bibel in Richtung Fenster. »Da, nimm das, du Bastard im Himmel!«
    Schlecht gezielt. Das Buch flog nicht durch die Öffnung, sondern gegen die Scheibe ein Stück weiter oben, und noch bevor das Glas zerbarst, war ihm klar, dass er dem fetten Montclaire eine neue Scheibe zahlen würde.
    Die Scheibe zersplitterte, und die Bibel flatterte in die Nacht hinaus wie ein Vogel mit vielen Flügeln. Aber noch während er zuschaute, wie sie im undurchdringlichen Dunkel verschwand, und die Flasche wieder ansetzte, kam sie zurückgeflattert wie eine heimkehrende Brieftaube. Sie traf die Flasche, zerschlug sie und verpasste ihm einen gehörigen Hieb ins Gesicht. Glasscherben schnitten ihm am Kinn die Haut auf, und Blut rann herab.
    Er saß kerzengerade da.
    Die Bibel lag in seinem Schoß. Aufgeschlagen.
    Ein Blutstropfen fiel von seinem Kinn und landete am linken Seitenrand von Kapitel 22, Vers 12 der Offenbarung .
    Er las.
    SIEHE, ICH KOMME BALD, UND MIT MIR BRINGE ICH DEN LOHN, UND ICH WERDE JEDEM GEBEN, WAS SEINEM WERK ENTSPRICHT.
    Ein zweiter Tropfen landete bei Vers 14.
    SELIG, WER SEIN GEWAND WÄSCHT: ER HAT
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