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Straße der Toten

Titel: Straße der Toten
Autoren: Joe R. Lansdale
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kurz war ein Totenschädel mit leeren Augenhöhlen zu sehen. Der Fährmann nahm sechs Bits von ihm für die Überfahrt und stieß das Boot mit seinem Stab vom Ufer ab.
    Der Fluss war so schwarz wie die Scheiße aus Satans Eingeweiden. Immer wieder hüpften weiße Gesichter mit toten Augen wie Korkschwimmer an die Oberfläche und versanken wieder in der Schwärze, ohne ein Kräuseln zu hinterlassen.
    Flussaufwärts ging’s, ohne zu paddeln.
    Der Fährmann stakte sie auf diesem seltsamen Styx die osttexanischen Gestade entlang, und am Ufer sah der Reverend Ereignisse aus seinem Leben wie ein Schauspiel vorüberziehen, das für die Fahrgäste einer Flusskreuzfahrt aufgeführt wurde.
    Doch es waren keine schönen Szenen, nur das Schlimmste, was ihm widerfahren war – bis auf eine Begebenheit, die für ihn ein Segen und ein Fluch zugleich gewesen war.
    Dort am Ufer, weithin sichtbar – obwohl es in einem dunklen Zimmer, im Bett seiner Schwester geschehen war – umarmten sich die Geschwister, heiß und verschwitzt, und trieben es wie die Tiere auf ihrer Farm. In seiner Erinnerung hatten sie eine süße, samtene Nacht miteinander verbracht, voller Liebe und Leidenschaft. Dort aber sah er pure Lust, schlichtes Begehren. Kein erfreulicher Anblick.
    Die anschließende Szene wollte er sich ersparen, doch er konnte die Augen nicht davor verschließen. Das Boot glitt erst weiter, nachdem er sah, wie sein Vater das Zimmer betrat, sie ertappte und sie beide lauthals verfluchte. Sein jüngeres Selbst grapschte nach der Hose, sprang auf und davon (damals in der Wirklichkeit aus dem Fenster), rannte am Flussufer entlang, bis seine Gestalt immer dunkler wurde und wie splitterndes Rauchglas zerstob.
    Weiter ging die Bootsfahrt.
    Im letzten Jahr des Bürgerkriegs hatte er (ein Kind noch) für den Süden gekämpft und verloren, mit achtzehn zu viel schon vom Tod gesehen.
    Vom Ufer her winkten ihm, in ihren blutbesudelten Yankee-Uniformen, traurig all die Männer zu, die er dahingemetzelt hatte. Das wirkte beinahe komisch, wäre der Anblick nicht so schmerzhaft gewesen.
    Weitere Szenen: Sein Navy-Colt entlud sich, eine Trommel nach der anderen, zuerst als Perkussionsrevolver mit Kugeln und Zündhütchen, dann zum Hinterlader umgebaut. Eine Trommel nach der anderen, bis er in die Luft geworfene Münzen traf und Spielkarten längs entzweischießen konnte, auch wenn er ihnen den Rücken zukehrte und mit einem Spiegel in der anderen Hand über die Schulter hinweg zielte.
    Die Männer, die er nach dem Krieg umgebracht hatte – Männer, die ihn provoziert hatten, und Männer, die aufgrund ihrer Sünden gegen Gott den Tod verdient hatten –, standen nun am Ufer nebeneinander und winkten ihm zu, stets mit einem (manchmal blutverschmierten) Lächeln.
    (Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.)
    Er konnte den Blick nicht abwenden. Sah die toten Männer mit der Dunkelheit verschmelzen.
    Entlang des Flusses entfaltete sich sein Leben Szene um Szene. Eine einzige Scheiße.
    Er wandte sich dem anderen Ufer zu, doch da bot sich genau das gleiche Schauspiel. Hüben wie drüben.
    Sie glitten dahin.
    Bis vor ihm, wie immer, der schlimmste Teil seines Traumes aus dem Wasser auftauchte.
    Zappelnde Spinnenbeine durchbrachen die Wasseroberfläche – zu viele für eine echte Spinne, er zählte zehn. Und mit ihnen tauchte der wulstige Körper auf, ein riesiges spinnenartiges Ding mit übergroßen roten Augen, hinter denen eine furchterregend bösartige Intelligenz lauerte.
    Die Spinne war so breit wie der Fluss. Ihre Beine berührten auf beiden Seiten das Ufer.
    Der Fährmann ließ sich nicht beirren. Er stakte weiter in dieselbe Richtung.
    Der Reverend wollte seine Waffe ziehen. Er griff ins Leere. Splitterfasernackt stand er da, mit verschrumpeltem Schwanz und voller Angst.
    Er wollte seinen Mund zu einem Schrei auftun, konnte es aber nicht. Als wären seine Lippen von der Angst versiegelt.
    Die Spinne ließ ihn erzittern, und das verstand er nicht. Größe hin oder her, rote Augen oder nicht. Er hatte es mit Männern aufgenommen, manchmal mit dreien gleichzeitig, und er hatte sie alle in die Hölle geschickt, und niemals hatte er auch nur einen winzigen Augenblick lang das kleinste bisschen Furcht empfunden. Erst jetzt, in diesen Träumen. (O Gott, lass es bloß Träume bleiben!)
    Er bemerkte, dass er seinen Blick nicht von den Spinnenaugen abwenden konnte. Als wären sie zum Platzen gefüllt mit all seinen Schwächen und Sünden.
    Weiter ging die
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