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Strafzeit

Strafzeit

Titel: Strafzeit
Autoren: Stefan Ummenhofer , Alexander Rieckhoff
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zwei Stunden.«
    Hubertus zuckte mit den Schultern und klopfte auf seine alte Armbanduhr: »Tut mir leid. Ich muss.«
    Hätte er Mielke sagen sollen, dass er selbst schon einen Fahrer organisiert hatte? Nein. Sollte sich Mielke doch von einem seiner Vereinsmeier nach Schwenningen kutschieren lassen. Wenn einer schon eine Sitzplatz-Dauerkarte hatte …
    Für Hubertus war es hingegen Ehrensache, seinen stetig anwachsenden Bauch auf die Stehränge zu zwängen. Auch nach all den Jahren noch. Und sogar nachdem man die Zahl der Sitzplätze beim Umbau der Arena deutlich erhöht hatte und viele seiner Tribünennachbarn auf den oberen Ring gewechselt waren. Natürlich hatte man von dort den besseren Blick aufs Eis. Aber Hubertus blieb auf seinem Stammplatz.
    Die Stunde mit der Zwölften verging trotz des Tests fast überhaupt nicht, der Nachmittag dafür umso schneller. In der Wohnung musste zumindest etwas aufgeräumt werden. Seit seine Frau vor einigen Wochen umgezogen war, herrschte das reinste Chaos. »Kreatives Chaos«, wie Hubertus nicht müde wurde sich und anderen klarzumachen. Martina, seine siebzehnjährige Tochter, war ihm beim Haushalt alles andere als eine Hilfe. Seit Neuestem trug sie zu allem Überfluss ein Zungenpiercing – ihre Mutter hatte dazu die Einwilligung gegeben.
    An diesem Nachmittag hatte sie sich zum Cappuccinotrinken in ein Eiscafé in der Nähe des Riettors verabschiedet und ihn obendrein um zehn Euro angebettelt. Was Elke betraf, so war »umgezogen« vielleicht nicht der ganz korrekte Ausdruck. Die werte Gattin war nicht um-, sondern ausgezogen.
    Und als wäre dies nicht schlimm genug: ausgerechnet zu Bröse, diesem aufgeblasenen Wichtigtuer. Dr. jur. Guntram Bröse. Zu Hubertus’ Leidwesen galt Bröse als Staranwalt von VS.
    VS – so wurde die gut achtzigtausend Einwohner zählende Stadt Villingen-Schwenningen gemeinhin genannt. Seit der Fusion im Zuge der Kreisreform 1972 war aus den beiden Orten zumindest auf dem Papier eine Doppelstadt geworden. Die badisch-katholischen und eher bürgerlich geprägten Villinger und die Bewohner von Schwenningen, das durch die florierende Uhrenindustrie erst Anfang des 20. Jahrhunderts zur Stadt geworden war, hatten immer noch so ihre Schwierigkeiten, sich mit dem Ausdruck VS zu identifizieren, und der eine Stadtteil erzählte über den jeweils anderen durchaus gehässige Witze.
    Studiert hatte Bröse – wie Hubertus – im siebzig Kilometer entfernten Freiburg. Aber während Hubertus gegen Fahrpreiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr gekämpft und in Vollversammlungen für mehr Mitbestimmung der Studierenden im Universitätsbetrieb eingetreten war, hatte Bröse seine Zeit in einer schlagenden Verbindung verbracht. Ein Schmiss zierte des Anwalts Wange und zeugte von den damaligen Fechtduellen. Dass Elke so etwas gefiel, zeigte wieder einmal, dass Frauen ihre innersten Überzeugungen verrieten, sobald sie nur mit genügend Süßholz vollgeraspelt wurden … Kein Wunder, dass sie einen zutiefst integren Menschen wie ihn nicht zu schätzen wusste, dachte Hummel.
    Er hatte versucht, sich seine politischen Ideale aus der Studienzeit zu bewahren. Allerdings mit nachlassendem Erfolg, wenn er ehrlich zu sich selbst war. Er spürte, dass auch er immer konservativer wurde. War sein zunehmendes Alter daran schuld? Oder lag es an den Schülern? Gar an seiner kleinbürgerlichen Herkunft?
    Egal. Heute ging es um Sport, nicht um Politik. Hubertus zwängte sich in seinen alten Pullover, wickelte sich den langen blau-weißen Schal in den Vereinsfarben um, den ihm Elke vor Urzeiten mal gestrickt hatte, und machte sich auf den Weg zum Treffpunkt mit seinem Freund Klaus. Mit der linken Hand grüßte er im Vorübergehen einen Nachbarn, der – ebenfalls in einen großen blau-weißen Schal gewickelt – gerade in seinen Ford stieg.
    Die Südstadt war ein idyllisches Viertel von Siedlungshäusern, die zu einem guten Teil in den Dreißigern, manche auch in den Fünfzigerjahren entstanden waren. Hier ging es bodenständig zu, und man kannte sich. Die meisten Bewohner waren echte Villinger und lebten schon seit Jahrzehnten hier.
    Obwohl es mittlerweile April war, hatte sich der Schwarzwälder Winter noch einmal zurückgemeldet – mit Schnee und Temperaturen im Minusbereich. Was zweifellos gut für die Eishockeyatmosphäre war, gefiel denjenigen, die sehnsüchtig auf den Frühling warteten, weniger. Immerhin bestätigte es das Bonmot, dem zufolge man den Hochsommer in
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