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Strafbataillon 999

Strafbataillon 999

Titel: Strafbataillon 999
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sehen wie einen unendlichen Strom. Er würde nun immer mitten in diesem Strom leben, dessen langsamer, gleichgültiger Fluß ihn wahnsinnig machte.
    Heute war Donnerstag. Na, und? Was tat es, daß es Donnerstag war? Ob Donnerstag oder Freitag oder Sonntag oder Dienstag, was tat es? Es war – er hörte es – drei Uhr nachmittags. Draußen war es hell, aber nicht um ihn. Um ihn war es immer dunkel. Um drei Uhr nachmittags oder drei Uhr nachts, gleichgültig wann es war. Er hatte die Dunkelheit und seine Gedanken und Erinnerungen – oh, hätte er sie nicht!
    Er hörte, wie die Tür aufging. Sie quietschte ein wenig. Wer war eigentlich ins Zimmer gekommen? Schwester Erna? Dr. Bolz – oder der alte Freund Wissek, der schon am andern Tag kam, nachdem Deutschmann hierhergebracht worden war?
    Er lauschte. Kein Schritt war zu hören, auch nicht das Klappern von Instrumenten oder Gläsern, wie es bei Schwester Erna immer der Fall war, kein rauh-gutmütiges »Grüß Gott, wie geht's unserem Kranken?« wie Oberschwester Hyazintha – ein komischer Name – immer sagte, wenn sie das Zimmer betrat.
    Stille.
    »Wer ist da?« fragte er. »Ist jemand hier?«
    An der Tür standen Dr. Wissek, Dr. Kukill – und Julia. Sie rührten sich nicht. Wie erstarrt sahen sie auf den bleichen, schmalen Mann in dem flachen Bett, mit dem dick verbundenen Kopf und dem kaum sichtbaren, blutleeren Mund über dem spitzen Kinn. Lange, schmale, totenbleiche Hände, deren Finger plötzlich Leben gewannen und wie suchend über die Decke tasteten …
    Dr. Kukill senkte den Kopf. Blind … ein Krüppel, dachte er, sie – sie hat ihn wieder – einen blinden Krüppel … mein Gott! Aber sie hat ihn wieder, nur wie, nur wie! Er drehte sich um und ging langsam, schlurfend, mit gebeugtem Rücken weg. Hier hatte er nichts mehr zu suchen. Aus. Endgültig aus. Er hatte Julias Augen und Gesicht gesehen, als sie auf den Mann im Bett blickte, und ganz klar und deutlich gefühlt, daß er überflüssig war.
    »Wer ist da?« fragte Deutschmann wieder, mit einer ängstlichen, ahnungsvollen Stimme.
    »Ich – ich –«, flüsterte Julia und stützte sich auf den Türpfosten. »Ich bin's, Ernst, ich bin's …!«
    Nun ging auch Dr. Wissek. Leise schloß er die Tür hinter sich, horchte – und hörte langsame und dann plötzlich sehr, sehr schnelle Schritte zu Deutschmanns Bett laufen.
    Er lächelte.
    Was stand diesen beiden Menschen bevor? Welches Leben? Konnte es nicht über ihre Kräfte gehen? Würden sie so stark sein, die Schrecken der Gegenwart, jeder Stunde, jeder Minute, immer wieder zu besiegen? Und die Schrecken der Vergangenheit? Und doch … Welch ungeheure Opfer würde die Zukunft von ihnen verlangen – besonders von Julia! Und doch …
    Sie lebten. Wie leichtfertig war es zu sagen: Besser wäre es, wenn er stürbe. War nicht das Leben das Wichtigste, das es auf der Welt geben konnte? Konnte die Liebe nicht alles das überwinden, was zu überwinden fast unmöglich schien?
    Ja. War sie nur stark und groß genug, war sie nur bereit zu geben, immer wieder zu geben und jede kleine Gegengabe als ein Geschenk zu betrachten. Dann ja.
    Auch Dr. Wissek hatte in Julias Augen geblickt, bevor er sie verließ. Und in ihnen hatte er diese Liebe gesehen.
    An einem der grauen, trostlosen Wintertage stand Hauptmann Barth vor Krülls Bett im Kriegslazarett in Orscha. In seiner Hand wog er einen kleinen Pappkarton mit dem Eisernen Kreuz erster und zweiter Klasse und den dazugehörigen Urkunden – blanko unterschrieben, mit dem später eingesetzten Namen Oberfeldwebel Krülls. Ein junger Leutnant, frisch von der Kriegsschule – Barths neuer Adjutant –, stand etwas verlegen hinter dem Hauptmann und sah respektvoll auf den Oberfeldwebel der sich fein gemacht hatte und mit zugeknöpfter Uniformjacke, zitternden Backen und steif aufgerichtetem Körper in seinem Bett saß.
    Viele bleiche, abgezehrte, ernste und grinsende Gesichter blickten von den anderen Betten herüber.
    »Sie sind der Letzte der zweiten Kompanie«, sagte Hauptmann Barth – und es klang so, als wäre dies ein Vorwurf. Aber Krüll überhörte es. Sein Blick hing wie gebannt an dem Pappkarton, um ihn lag ein herrlicher, rosiger Nebel, durch den Barths Stimme nur leise, wie von ferne drang.
    EK I!
    »Für diesen Einsatz bekam die Kompanie das EK I«, fuhr Barth fort, »und nun muß ich es wohl verleihen. Sagen Sie, wie haben Sie das eigentlich gemacht?«
    Krüll fuhr zusammen. »Was – was, Herr Hauptmann?«
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